Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
hinter mir vernahm, dachte ich, es wäre die Köchin.
»Geht es dir besser?«, fragte ich, ohne mich umzuwenden, weil ich gerade dabei war, einen Riesentopf zu schrubben. »Ich habe mir schon Sorgen gemacht.«
»Wer sind Sie?«, ertönte eine raue männliche Stimme.
Erschrocken fuhr ich herum. Mir war sofort klar, wer der junge Mann war, der mich entgeistert anstarrte.
»Ich … ich bin, also, ich bin die Küchenhilfe«, stammelte ich.
»Die Küchenhilfe? Aber Sie sind keine meiner Sklavinnen!«
Es war das »Sklavin« aus seinem Mund, das mich provozierte. Wie er das sagte. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter.
»Nein, Sie haben recht, Mister Sullivan, eine Sklavin bin ich nicht. Und die gibt es auch nicht, dort, wo ich herkomme.«
Mister Sullivan starrte mich immer noch an wie einen Geist.
»Aber was machen Sie dann in meinem Kochhaus?«
»Ich bin die Küchenhilfe und arbeite Marisha zu!«
»Sind Sie wahnsinnig? Das dulde ich nicht. Sie können nicht als weiße Frau einer Sklavin zuarbeiten!«, stieß er empört hervor.
»Genau das haben wir befürchtet. Und deshalb habe ich mich unsichtbar gemacht.«
»Wer ist ›wir‹?«
Ich zuckte zusammen. Auf keinen Fall wollte ich Misses Leyland verraten, aber wie sollte ich ihm sonst erklären, wie ich hergekommen war. Ich hatte keine Wahl.
»Ich bin nach Saint Croix gekommen, um die Familie meines Mannes zu finden, der mich mittellos zurückließ. Und nachdem man mir das letzte Geld für die Überfahrt abgenommen hatte, brauchte ich eine Unterkunft. Misses Leyland war so freundlich, mir das Gartenhaus anzubieten und mich in der Küche arbeiten zu lassen. Sie ahnte, dass Sie so reagieren würden … Deshalb tun Sie mir nur einen Gefallen.« Ich nahm meine Schürze ab und machte mich zum Gehen bereit. »Lassen Sie Ihren Ärger nicht an Ihrer Haushälterin aus. Ich habe sie angefleht, mir aus der Patsche zu helfen. Sie kann nichts dafür.«
Ich drehte mich auf dem Absatz um, doch er hielt mich an den Schultern fest. »Wohin wollen Sie?«
Ich zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Nur weg!«
Er musterte mich durchdringend. »Wo ist Marisha?«
Ich hielt seinem Blick stand. Ohne Frage, er war kein unattraktiver Mann. Er hatte dunkle Augen und dunkelbraunes dichtes Haar. Seine Ausstrahlung entsprach überhaupt nicht dem, was ich von einem Sklaventreiber erwartet hatte. Er wirkte feinsinnig. Aus seinen Augen sprach echte Traurigkeit. Er schien seine Frau zu vermissen.
»Ich habe sie ins Bett geschickt, nachdem sie in der Küche beinahe zusammengebrochen wäre«, erwiderte ich.
»Und wer hat das Essen gekocht?«
»Ich habe mein Bestes gegeben«, entgegnete ich entschuldigend.
»Es war wunderbar. Das ist der Grund, warum ich gekommen bin. Ich wollte Marisha mein Lob aussprechen.«
Das machte mich sehr verlegen. »Danke«, hauchte ich. »Gut, aber ich werde jetzt schnell verschwinden. Wenn Sie erlauben, werde ich rasch noch nach Marisha schauen und mich von Nafia verabschieden.«
Mister Sullivan schüttelte missbilligend den Kopf. »Sie sprechen von den Sklaven, als wären es Ihre Freunde. Woher kommen Sie, dass Sie so reden?«
Ich holte tief Luft. »Aus dem dänischen Gesamtreich!«, erklärte ich knapp. Ich hütete mich davor, ihm den Namen meiner Heimatstadt preiszugeben. Ich wollte nicht noch einmal so leichtsinnig sein wie in meinem ersten Gespräch mit Misses Leyland und womöglich auch noch meinen Namen verraten.
»Aus Altona, um es genau zu sagen!«, fügte ich hinzu.
»Wie heißt Ihre Familie?«, wollte er wissen.
Ich errötete. Im ersten Schrecken vergaß ich, was ich der Haushälterin erzählt hatte. Zum Glück fiel es mir noch im letzten Moment ein. »Brodersen. Die Verwandten meines Mannes heißen Brodersen.«
Mister Sullivan setzte eine nachdenkliche Miene auf. »Brodersen? Also in Frederiksted gibt es niemanden mit diesem Namen. Ich werde mich mal für Sie in Christiansted umhören.« Er blickte mich dabei sehr zugewandt an. Mir wurde noch unwohler.
»Nicht nötig«, stieß ich hervor. »Ich werde gleich abreisen und mich auf eigene Faust auf die Suche machen.«
»Sie wollen uns also unbedingt verlassen?«
»Aber ja, ich meine, Sie würden doch nie … ich denke, ich sollte … ich …«, stotterte ich.
»Kommen Sie. Wir sehen erst einmal nach Marisha«, verkündete er. Der weiche Ton seiner Stimme verunsicherte mich zutiefst.
Mister Sullivan ging voran. Offenbar wusste er genau, wo Marisha wohnte. Da fiel es mir siedend heiß
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