Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
Gesicht in beide Hände und drückte zärtlich seine Lippen auf meinen Mund. Ich erwiderte seinen Kuss und wünschte mir, dieser Augenblick würde bis in die Ewigkeit dauern. In jeder Faser meines Körpers spürte ich die Lust, mich ihm auf der Stelle hemmungslos hinzugeben. Er aber löste seine Lippen von meinen und flüsterte in zärtlichem Ton: »Du musst jetzt gehen.«
Für einen winzigen Moment geriet mein schöner Fluchtplan ins Schwanken. Da drückte er mir einen Stock in die Hand. »Schlag zu!«, befahl er.
»Ich will dir nicht wehtun«, protestierte ich.
»Du musst. Sonst bin ich meine Arbeit los. Du glaubst doch nicht, dass er mir abnimmt, du wärest mir einfach so entwischt, oder?«
»Aber ich kann dir keinen Knüppel über den Kopf ziehen!«
»Nun zier dich nicht so! Es muss sein. Und glaube mir. Wenn ich die Möglichkeit hätte, dir etwas zu bieten, ich würde mit dir gehen.«
Ich war so überwältigt, dass ich ihm noch einen Kuss auf die Lippen gab, bevor ich den Stock hob, die Augen schloss und zuschlug. Erschrocken riss ich sie wieder auf, als ich hören konnte, wie er zu Boden fiel. Er lag auf dem Rücken, die Augen geschlossen. Ich konnte mich gerade noch beherrschen, nicht laut aufzuschreien, als ich seine blutende Wunde auf der Stirn sah. Verzweifelt beugte ich mich über ihn und jammerte: »O mein Gott, ich habe dir nicht wehtun wollen. Du blutest, du Armer.«
Da blinzelte er und raunte: »Das ist gut, das ist sehr gut. Und jetzt geh. Und weißt du, was? Man begegnet sich immer zweimal, pflegte mein weißer Vater zu sagen.«
Ich streichelte Jeremiah noch einmal zärtlich über die Wangen, bevor ich aufstand. »Das werde ich dir nie vergessen«, flüsterte ich und eilte in Richtung der Plantage. Ich würde den Hinterausgang nehmen und auf meine persönlichen Habseligkeiten verzichten müssen. Das Risiko, Mister Sullivan im Haus zu begegnen, war einfach zu groß.
Eigentlich hätte ich Erleichterung verspüren müssen, als ich ungehindert auf die Straße nach draußen gelangte. Ich war frei. Und trotzdem kam bei mir keine Freude auf. Im Gegenteil, ich hatte ein ungutes Gefühl. Das verstärkte sich, als mir ein betrunkener Mann entgegenwankte. Zu spät sah ich, dass es sich um Jakob Hensen handelte. Obwohl er alles andere als nüchtern war, erkannte er mich sofort. Er baute sich mit ausgebreiteten Armen vor mir auf. »Da kommt das Vögelchen ja angeflogen ohne seinen Beschützer. Jetzt habe ich dich.«
Unvermittelt packte er mich am Arm. »Ich nehme dich mit nach Christiansted, und das nächste Schiff bringt dich nach Flensburg. Und dann gehört die Firma wieder uns. Uns allein!«, lallte er.
»Ich bin nicht die, für die Sie mich halten. Mein Name ist Anne Brodersen«, widersprach ich und versuchte meine Panik zu verbergen.
Mein Schwager lachte gehässig. »Ja, ja, und ich bin der König von Dänemark.«
In diesem Augenblick erklang auf dem einsamen Weg Pferdegetrappel. Ich wollte mich umdrehen, doch Jakob zog mich dermaßen grob an meinem Handgelenk fort, dass ich vor Schmerz laut aufschrie.
»Finger weg von meiner Verlobten!«, befahl da Mister Sullivan in schneidendem Ton. Schon war er von seinem Pferd gesprungen und zwang Jakob, mich loszulassen. Ich rieb mir das schmerzende Gelenk und war irgendwie erleichtert. Immer noch besser, ich falle Mister Sullivan in die Hände als diesem habgierigen Gesellen.
Mein Eindruck änderte sich, als ich in Mister Sullivans wutverzerrtes Gesicht sah. Und sein Zorn galt, dessen war ich mir sicher, nicht so sehr meinem Schwager als vielmehr mir.
»Warten Sie da!«, befahl er Jakob und machte mir ein Zeichen, ihm zu folgen. Als wir außer Hörweite waren, zischte er: »Zum letzten Mal! Entscheiden Sie sich, und zwar in diesem Moment. Entweder wir reiten jetzt auf der Stelle zum Standesamt und lassen uns trauen, oder ich überlasse Sie Ihrem Schicksal, verstanden? Und wenn Sie es noch einmal wagen, meinen Butler tätlich anzugreifen, werden Sie mich kennenlernen. Und das eine darf ich Ihnen versichern: Sollten Sie weglaufen, wenn Sie erst meine Ehefrau sind, dann gnade Ihnen Gott!«
Ich zuckte bei seinen Worten zusammen. Es waren nicht nur seine unverhohlenen Drohungen, die mich erschreckten, sondern der herrische Ton, den er anschlug. Aber ich war nicht in der Position aufzubegehren. Also schwieg ich.
»Standesamt oder Hölle. Entscheiden Sie sich!«
In meinen Augen handelte es sich eher um eine Entscheidung zwischen Vorhölle und
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