Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
und Unverständnis an.
»Sie hat unser Kind nicht umgebracht. Das war eine Verkettung unglückseliger Umstände«, widersprach ich unter Tränen.
Jonathan musterte mich befremdet und ließ seine Waffe schließlich sinken.
»Geh auf dein Zimmer, Schwarze, und wage es nicht, mir heute noch einmal unter die Augen zu treten!«, bellte Jonathan.
Ich glaubte in diesem Moment tatsächlich, er habe ein Einsehen. Wenn ich mir vorstelle, wie ich mich täuschen sollte, meldet sich mein schlechtes Gewissen. Hätte ich nicht an seinem Blick, in dem eine Spur von Wahnsinn lag, erkennen müssen, dass er genau das beabsichtigte: dass ich mich in Sicherheit wiegte.
Nafia eilte mit gesenktem Kopf zum Haus. Jonathan trat auf mich zu und bat mich, ihm das Kind zu geben. Ich tat, was er verlangte, und folgte ihm. Er ging in den Salon und legte Benjamin auf dem Esstisch ab. Mich schüttelte es. Ich spürte den Irrsinn, aber ich konnte und wollte ihn nicht fassen.
»Er soll hier aufgebahrt werden«, flüsterte Jonathan. »Damit sie es alle sehen können. Die ganze schwarze Bagage!«
Ich erinnere mich noch genau an das Frösteln, das mich bei dem Gedanken überfiel, die Sklaven würden gezwungen, an unserem toten Kind entlangzudefilieren. Aber ich sagte nichts. Ich war viel zu beschäftigt, meinen Sohn anzustarren. Wenn das faustgroße Loch und das viele Blut nicht wäre, man könnte meinen, er schliefe. So wollte ich ihn nicht dort liegen lassen. Also holte ich eine Schüssel Wasser und einen Lappen und begann, mein Kind gegen Jonathans erbitterten Widerstand zu säubern.
Ich war mit meinem Werk gerade fertig, da verließen mich meine Kräfte.
Als ich erwachte, lag ich in meinem Bett. Zuerst wusste ich gar nicht, was geschehen war. Dann allerdings kam die Erinnerung mit Macht zurück. Ich setzte mich auf und starrte ungläubig die blütenweiße Bettwäsche an. Ich muss zu meinem Kind, durchfuhr es mich eiskalt.
Meine Knie zitterten, als ich aus dem Bett sprang. Ich konnte kaum stehen und musste mich am Nachttisch abstützen. Ich atmete ein paarmal durch, bis ich mich in der Lage fühlte, allein zu gehen.
Aus der Ferne hörte ich lautes Schluchzen, aber mir war so, als wäre es nicht eine Person, sondern ein Heer von Weinenden. Ich vermutete, sie trauerten um mein Kind.
Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen. Ich sah an mir herunter und erschrak. Das Kleid! Ich trug immer noch das blutverschmierte Sommerkleid, in dem ich mein totes Kind im Arm gehalten hatte.
Unter Aufbringung sämtlicher Kräfte gelang es mir, den Salon zu erreichen. Ich sah es sofort, als ich die Tür öffnete: Mein Kind war verschwunden. Panisch rief ich nach meinem Mann. Doch ich bekam keine Antwort, bis ich Misses Leyland entsetzte Stimme hinter mir vernahm. »Um Gottes willen, Sie müssen zurück ins Bett!«.
»Wo ist mein Kind?«
»Ihr Mann hat ihn …«, schluchzte sie. Ich wandte mich zu ihr um. Die Hausdame war leichenblass.
»Was hat er?«, schrie ich.
»Er hat ihn beerdigen lassen, nachdem alle an ihm haben vorbeigehen müssen …« Wieder brach ihre Stimme ab. »Es war grausam, aber sie hat es ja nicht anders verdient, diese Mörderbande.«
»Misses Leyland, es war ein Unfall«, erwiderte ich, bevor ich mich am Türrahmen hinuntergleiten ließ. Meine Füße trugen mich nicht mehr. Jonathan war verrückt geworden. Er hatte mein Kind ohne mich unter die Erde gebracht, während ich bewusstlos war. »Das gibt es doch nicht! Schauen Sie mich nicht so vorwurfsvoll an. Nafia kann nichts dafür!«
»Hören Sie endlich auf, sie zu verteidigen. Ich habe von Anfang an gewusst, dass das ein böses Ende nimmt. Nun hat sie ihre gerechte Strafe.«
»Wovon reden Sie?«, fragte ich.
»Sie gehören ins Bett!«, entgegnete Misses Leyland ausweichend, packte mich unter den Achseln und wollte mich hochheben, aber ich schüttelte sie ab und stand mit eigener Kraft auf.
»Wer hat seine Strafe bekommen?«
»Gut, wenn Sie sich nicht von mir helfen lassen wollen, hole ich Mister Sullivan. Er hat mir nämlich verboten, mit Ihnen zu sprechen und mir aufgetragen, ihn zu holen, wenn Sie aus Ihrer Ohnmacht erwacht sind. Wenn er erfährt, dass ich Ihnen das mit der Beerdigung gesagt habe, wird er mir nie verzeihen«, jammerte sie, während sie verschwand und mich allein zurückließ.
Eine dunkle Ahnung stieg in mir auf, aber ich schob sie weit weg. Plötzlich fühlte ich wieder Kraft in den Beinen und konnte mich zu Nafias Zimmer begeben. Ich hatte ein
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