Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)

Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ava Bennett
Vom Netzwerk:
hinzuhocken. Obwohl der Sturm um uns herum tobte und wie irrsinnig an den Bäumen rüttelte, fühlte ich mich seltsam geborgen in Jeremiahs Arm. Wir sprachen kein Wort, bis das Tosen des Windes langsam verebbte.
    Nichts hatte sie hier oben verändert, stellten wir fest, nachdem der Spuk vorüber war. Als mein Blick auf Frederiksted fiel, erstarrte ich. Die Wolke war fort, aber wohin mein Auge auch sah, waren die Plantagen verwüstet. Und dort, wo der Strand gewesen war, schien alles von einer immensen Welle überspült worden zu sein. Häuser waren in sich zusammengestürzt. Mit klopfendem Herzen drehte ich den Kopf. Ich wusste, dass man von hier oben die Sullivan Plantage und unser Haus sehen konnte. Eigentlich hatte ich keinen Blick zurück riskieren wollen, aber jetzt? Vor Schreck angesichts dessen, was dort unten zu sehen war, griff ich nach Jeremiahs Hand. Dort, wo vorher das prächtige Haus gestanden hatte, lagen nur noch Trümmer.
    »Lass uns nach vorne schauen«, flüsterte Jeremiah. Ich drückte seine Hand. Ja, mein Leben, wie ich es mir in Frederiksted aufgebaut hatte, schien im wahrsten Sinn des Wortes in sich zusammengestürzt zu sein. Eine unendliche Traurigkeit ergriff mit aller Macht Besitz von mir. Endlich regten sich wieder Gefühle in meinem Inneren. Obwohl es furchtbar schmerzte, war es besser als diese innere Leere. Ich schluchzte laut auf und rief abwechselnd ihre Namen. »Benjamin, mein Benjamin!« und »Nafia!«
    Jeremiah ließ mich gewähren. Ich schrie und schluchzte, bis ich heiser und erschöpft war. Erst als sich meiner Kehle nur noch ein heiseres Krächzen entrang, legte er den Arm um mich und mahnte zum Aufbruch. Er wollte vermeiden, dass wir das beschwerliche Stück im Dunklen reiten mussten. Also beeilte ich mich.
    Während des ganzen Ritts war ich in Gedanken bei meinem kleinen Sohn, und ich sah noch einmal alle Stationen seines kurzen Lebens vor meinem inneren Auge ablaufen. Da war seine Geburt, sein erstes Lachen, seine ersten Worte, seine ersten unbeholfenen Schritte … Und ich fragte mich, ob ich das Unglück nicht hätte verhindern können, ja müssen. War es nicht meine Schuld? Wäre mein Kind vielleicht noch am Leben, wenn ich die beiden auf ihrem Spaziergang begleitet hätte und nicht erschöpft im Liegestuhl geblieben wäre? Quälende Gedanken schwirrten durch meinen Kopf. Zeitweise konnte ich vor lauter Tränen nichts mehr sehen, aber ich musste ja immer nur Jeremiah folgen.
    Erst als die Dunkelheit sich wie ein schwarzes Tuch über die Ebene legte, die wir inzwischen erreicht hatten, hatte sich meine Verzweiflung wieder in Traurigkeit verwandelt. Da tauchten die ersten Lichter der Stadt auf. Allein Jeremiahs Anwesenheit gab mir die Kraft, an eine Zukunft zu glauben. Wenn er nicht gewesen wäre – dessen war ich mir in diesem Moment sicher – hätte es mir an jedem nötigen Antrieb weiterzuleben gefehlt. Zum zweiten Mal in meinem Leben musste ich alles hinter mir lassen, vor allem die geliebten Menschen. Damals war es mein Vater gewesen, den ich tot zurückgelassen hatte, dieses Mal mein eigenes Kind. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich jemals wieder so etwas wie Glück erleben würde, aber ein Seitenblick zu Jeremiah, der inzwischen neben mir ritt, ließ mich zumindest darauf vertrauen, dass uns beide nichts mehr trennen konnte. Nun war das eingetreten, was ich vorher niemals zu hoffen gewagt hatte: Ich vertraute mein Leben diesem Mann an, den ich von Herzen liebte. Obwohl ich unendlich traurig war, spürte ich die Geborgenheit, die er mir gab, in jeder Faser meines Körpers.
    Es war Nacht, als wir den Hafen erreichten. In Christiansted schien der Hurrikan nicht gewütet zu haben. Der Ort war größer als Frederiksted, aber zu dieser Zeit waren die Straßen menschenleer. Nur vereinzelte Betrunkene wankten aus den Spelunken am Hafen.
    Jeremiah hatte mich, nachdem er die Pferde an einem Zaun abgebunden hatte, gleich zum Kai geführt. Er hoffte, dass die Sea Cloud bereits aus Jamaika eingetroffen war, konnte sie allerdings nirgends entdecken. Das war eine herbe Enttäuschung für ihn, doch er versuchte, sie vor mir zu verbergen.
    »Hauptsache, wir sind heil in Christiansted angekommen«, versuchte ich ihn zu trösten.
    »Du bist so tapfer«, erwiderte er und sah mich aus seinen blauen Augen zärtlich an. »Komm, lass uns in einem der Schuppen übernachten. Die Sea Cloud wird binnen der nächsten Tage im Hafen eintreffen. Und hier sind wir in Sicherheit. Ich glaube

Weitere Kostenlose Bücher