Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
Sullivan-House ein schwarzes Mädchen aufzieht?«
»Sie werden sagen: Seht her, der Mischling hat ein schwarzes Kind bekommen!«, erwiderte sie lächelnd.
»Mischling, wie meinen Sie das?«, fragte Gerald entgeistert.
»Sie haben Ihre Geheimnisse und ich meine«, entgegnete Valerie. »Und bitte seien Sie vorsichtig«, ergänzte sie hastig, bevor sie schnellen Schrittes zur Kutsche eilte, ohne sich noch einmal nach ihm umzudrehen.
25
Frederiksted, Saint Croix, September 1835
B enjamin Carl war zu einem entzückenden kleinen Kerl herangewachsen, der alle Menschen, ob jung oder alt, um den Finger wickeln konnte. Selbst Misses Leyland brach jedes Mal in Entzückensschreie aus, wenn der zweijährige Benjamin ihr auf seinen stämmigen Beinchen entgegenlief und krähte: »Leyli, Leyli!«
Mein Sohn hatte hellblonde Locken, die er von den dänischen Vorfahren meiner Mutter geerbt hatte, und meine blauen Augen. Er war lebendig und immer in Bewegung. Nafia behauptete, es wäre einfacher, einen Sack Flöhe zu hüten als meinen Sohn. Dabei liebte sie ihn abgöttisch. Ich hatte durchgesetzt, dass sie im Haus leben und neben dem Kinderzimmer wohnen durfte. So war sie stets zur Stelle, wenn er nachts aufwachte. Gestillt hatte ich mein Kind selbst. Ich hielt nichts davon, das von einer Amme erledigen zu lassen, obwohl Jonathan das sonderbar fand. Alle Kinder von reichen Weißen auf der Insel wurden von schwarzen Ammen versorgt. »Ich bin aber keine reiche Weiße von dieser Insel«, hatte ich gegen seine anfängliche Entscheidung, Benjamin bekäme eine Amme, eingewandt.
»Ach, du willst ja immer etwas Besonderes sein!«, hatte er geknurrt und mir prophezeit, ich würde danach eine hässliche Brust haben. Aber Jonathan hatte sich getäuscht, und er war Manns genug, das auch zuzugeben. Ich hatte weiblichere Formen bekommen, ohne annähernd so rund zu werden wie viele der anderen jungen Mütter in Frederiksted. Natürlich kannte ich inzwischen fast die gesamte feine Gesellschaft. Es lebten auf den Westindischen Inseln weniger Dänen, als ich anfangs vermutet hatte. Mindestens genauso viele Engländer und Holländer wohnten in Frederiksted. Darunter gab es ein paar nette junge Frauen, die aber im Gegensatz zu mir ihr alleiniges Glück in der Aufzucht ihrer Kinder fanden.
Ich hingegen war inzwischen so etwas wie der gute Geist für die Sklaven auf Sullivan geworden. Wann immer es darum ging, ihre Lebensbedingungen zu verbessern, kämpfte ich in erster Reihe. Seit zwei Jahren war von unserer Plantage kein Sklave mehr geflüchtet, und es war auch kein sogenanntes Exempel an einem von ihnen statuiert worden. Diese gute Behandlung der Sklaven schlug sich zu Jonathans Freude in den Büchern der Firma nieder. Obwohl ich die Pausenregelung durchgesetzt hatte, wurde mehr Zuckerrohr geerntet als zuvor. Und wir stellten endlich eigenen Rum her.
Bald nach Benjamins Geburt hatte ich mich dazu durchgerungen, meiner Schwester einen Brief zu schreiben, allerdings auf dem Briefpapier der Sullivan-Plantage und mit Jonathans Absender versehen. Jeremiah war extra für mich nach Christiansted gefahren und hatte das Schreiben einem Flensburger Kapitän, der, wie mein treuer Verbündeter mir versicherte, einen vertrauenerweckenden Eindruck gemacht hatte, mitgegeben. Darin bat ich sie um Verzeihung, dass ich sie zum Narren gehalten hatte, berichtete kurz von Jonathan und in epischer Breite von Benjamin. Und ich kündigte ihr die baldige Lieferung einer großen Ladung Fässer an, deren Inhalt sie in Zukunft ausschließlich benutzen solle, um den Hensen-Rum herzustellen. Damit würden wir Jakob Hensen über kurz oder lang in den Ruin treiben, denn er verdiente direkt am Verkauf der Fässer.
Manchmal fragte ich mich, was wohl aus Hauke Jessen geworden war.
»Ich gehe mit Benjamin ein Stück spazieren, wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte Nafia und riss mich aus meinen Gedanken.
Ich saß in einem Liegestuhl auf der Veranda und war ziemlich schläfrig. Es war Mittagszeit. Die Hitze flirrte, Grillen zirpten, und der Himmel war von einem tiefen Blau, das kein Wölkchen trübte. Ich werde das niemals vergessen, und wenn ich daran denke, ist es mir, als würde die Zeit stehen bleiben und ich an jenem friedlichen Ort zurück sein, den ich niemals wiedersehen werde. Und wie immer, wenn ich daran denke, laufen mir Tränen über die Wangen, und Verzweiflung droht mich zu überwältigen. Es ist hart, darüber zu schreiben, aber mein Leben wäre nicht
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