Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
vollständig ohne meine Vertreibung aus dem Paradies.
Ja, es war wirklich ein schönes Leben, das ich auf Sullivan führte. Ich hatte einen wunderbaren Sohn, in Nafia eine gute Freundin und in Jonathan einen Mann, der mir jeden Wunsch von den Lippen ablas. Er wollte so gern ein zweites Kind und unternahm einiges, um mich zu verführen. Merkwürdigerweise war er nie wieder von derselben ungezügelten Leidenschaft wie beim allerersten Mal. Er vollzog den Liebesakt wie ein Getriebener, ganz so, als könnte ihm etwas zustoßen, wenn er sich darauf einließ. Ich befürchtete, er hatte Angst, sein Herz zu verlieren und damit die Kontrolle über sich. So kam es, dass es auch für mich nicht weiter als eine eheliche Verpflichtung war, wenn er sich im Dunklen über mich rollte. Ich empfand keinerlei Lust mehr.
Vielleicht lag es auch nicht nur daran, dass sich Jonathan im Alltag als phantasieloser Ehemann entpuppte, sondern daran, dass meine erotischen Gedanken allein auf Jeremiah gerichtet waren. Was würde ich darum geben, wenn er zu mir ins Bett kommen könnte! Manchmal beobachtete ich ihn vom Fenster aus, wenn er etwa mit nacktem Oberkörper die Räder der Kutsche reparierte. Das war eigentlich nicht seine Aufgabe, aber er konnte einfach alles. Wenn etwas kaputt war im Haus, holte ich Jeremiah. Er genoss es, wenn ich ihn dann bei seiner Arbeit mit den Augen förmlich auffraß.
»Ich liebe dich auch«, hatte er neulich im Hinausgehen geflüstert und mir sanft übers Haar gestrichen. Allein diese Berührung hatte genügt, um meinen Körper zu entflammen. Trotzdem würde keiner von uns mehr riskieren. Wir sprachen nicht darüber, aber das stand wie ein ungeschriebenes Gesetz zwischen uns.
Ich weiß genau, dass ich abschweife, weil ich in meiner Erinnerung an diesen Tag lieber in meinem Liegestuhl verweilen möchte, als …
Ein markerschütternder Schrei ließ mich aus der Mittagsruhe schrecken. Er klang nicht wie von einem Menschen ausgestoßen. Ein weiterer Schrei folgte. Er kam von der Straße. Ich rannte um das Haus herum … Als Erstes erblickte ich Jonathan, der mit einer Waffe in der Hand auf sein Pferd zutrat und abdrückte. Wieder und immer wieder, bis der Hengst tödlich getroffen in den Staub der Straße sank. Ich blieb wie betäubt stehen und öffnete den Mund zu einem Schrei, aber kein Laut entrang sich meiner Kehle. Dann erst bemerkte ich, dass Nafia, die zitternd am Rand der Straße stand, ein Bündel im Arm hielt und dass sie immer noch schrie.
Erst als Jonathan sich wie ein Irrsinniger auf Nafia stürzte, wollte mein Verstand begreifen, dass sie mein Kind trug. Ich war eher bei ihr und griff nach Benjamin. Er lächelte und sah mich aus großen, neugierigen Augen an, aber dort, wo einmal sein blondes Haar gewesen war, klaffte eine blutende Wunde. Alles war rot und klebrig.
»Benjamin«, flüsterte ich. »Benjamin, es ist alles gut. Mama ist bei dir.« Mein Kind blickte mich aus leblosen Augen an. Ich weigerte mich, es zu begreifen, und schüttelte ihn, doch das machte ihn nicht wieder lebendig. Nun war ich es, die unmenschliche Schreie ausstieß. Erst als ich aus dem Augenwinkel wahrnahm, wie Jonathan Nafia am Arm fortzog und seine Waffe auf sie ansetzte, besann ich mich. Ohne zu zögern, sprang ich zwischen die Kinderfrau und meinen Mann.
»Weg da!«, brüllte Jonathan wie von Sinnen. »Aus dem Weg!«
»Sag mir erst, was geschehen ist!«
»Sie hat seine Hand losgelassen, sie muss sterben«, schrie Jonathan, dessen Gesicht schmerzverzerrt war.
»Was ist geschehen?«, fragte ich Nafia, die verzweifelt um Gnade flehte.
»Er hat seinen Vater herannahen sehen. Da hat er sich losgemacht und ist ihm entgegengerannt. Mister Sullivan konnte das Pferd nicht rechtzeitig zum Halten bringen«, schluchzte Nafia verzweifelt. »Geh aus dem Weg. Ich habe den Tod verdient!«
»Unsinn!«, zischte ich und wandte mich wieder meinem Mann zu.
»Jonathan, das war ein verdammtes Unglück. Hör auf! Bitte! So machst du ihn auch nicht wieder lebendig.« Ich weiß im Nachhinein nicht mehr, woher ich die Kraft genommen habe, die Lage überhaupt zu überblicken. Ich denke, in meinem Herzen war die grausame Wahrheit noch nicht angekommen, obwohl ich mein Kind ganz fest an meine Brust gedrückt hielt.
Jonathans Augen glühten vor Hass.
»Aus dem Weg!«, befahl er.
»Nein, dann musst du auch mich erschießen!«
»Du hast Mitleid mit dieser dreckigen schwarzen Kindesmörderin?« Jonathan sah mich mit einer Mischung aus Ekel
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