Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
zugegeben, dass er sich in sie verliebt hatte. Noch konnte alles gut werden! Aber was würde er auf ihre gehässige Bemerkung erwidern? Valerie erwartete ein glühendes Plädoyer, doch stattdessen hörte sie ihn unwirsch sagen: »Hör auf, sie so zu nennen! Das sind nur bösartige Gerüchte, die ihr dummen Mädchen erfunden habt, weil ihr neidisch auf Valerie seid! Sie ist genauso weiß wie du und ich!«
»Das hättest du wohl gern, James Fuller! Aber es war deine eigene Schwester, die mich darüber aufgeklärt hat!«
»Dieses dumme Ding. Dabei war sie mal Valeries beste Freundin. Ich verstehe nicht, warum sie so einen Unsinn verbreitet. Na warte, die kann was erleben!«
»Sie hat es sich nicht ausgedacht! Deine Mutter hat es ihr verraten, und die weiß von ihrem Vater, dass ihre Großmutter, die hochwohlgeborene schwarze Lady, einst …«
»Halt deinen Mund!«, herrschte James Mary Tenson an. »Du lügst nur, um mich an dich zu binden. Aber ich lasse mich nicht von meiner Mutter verkuppeln. Hörst du? Ich mache da nicht mit!«
Mary heulte laut auf. »Aber, James, warum sollte ich mir so etwas ausdenken? Dein Großvater muss es wissen! Er kannte den Mann, sagt deine Mutter!«
»Mary Tenson! Wenn du nicht augenblicklich dein Klatschmaul hältst, werden wir nicht einmal Freunde bleiben!«
»Und wenn es die Wahrheit wäre, was würdest du tun? Ein Mulattenmädchen heiraten auf die Gefahr hin, dass du schwarze Nachkommen zeugst?« Marys Stimme klang schrill und unnatürlich.
»Ich werde dir beweisen, dass Valerie Sullivan so weiß ist wie du und ich! Ich werde nicht ruhen, bis ich die Wahrheit kenne, und dann wirst du dich bei Valerie entschuldigen«, gab James kämpferisch zurück.
»Und wie willst du das herausfinden? Du glaubst doch wohl selbst nicht, dass die ›nordische Lady‹ dir freiwillig ihre Lebensgeschichte anvertraut?«, fragte Mary höhnisch.
»Ich habe Mittel und Wege!«
»Und was, wenn es doch stimmt?«
»Was fragst du so dumm? Du kennst die Antwort. Niemals würde ich einen Mischling heiraten!«
Valerie wurde schwindlig. Sie hielt sich am Stamm der Palme fest.
»Versprichst du mir eines?« Marys Stimme hatte wieder einen einschmeichelnden und weichen Klang.
»Was denn?«, fragte er unwirsch.
»Wenn es sich als Wahrheit herausstellt, heiratest du dann mich?«
»Meinetwegen«, brummte James.
Valerie biss sich auf die Faust, um nicht laut aufzuschreien. Sie verspürte den Impuls, aus ihrem Versteck zu springen, sich vor James Fuller aufzubauen und ihm ins Gesicht zu schreien, dass sie ganz gleich, was für Blut durch ihre Adern floss, nicht daran dachte, jemals seine Frau zu werden! Sie wollte gerade aus ihrem Versteck hervorkommen, als jemand sie von hinten mit einer Hand festhielt und ihr mit der anderen den Mund zuhielt. Valerie war starr vor Schreck. Sie hörte, wie sich die beiden hastig entfernten. Vergeblich versuchte sie, sich aus dem eisernen Griff zu befreien, doch plötzlich ließen die Hände freiwillig von ihr ab. Wie der Blitz fuhr Valerie herum und blickte in die spöttischen Augen von Richard Fuller.
»Na, du kleine Lauscherin«, stieß er grinsend hervor.
»Was fällt Ihnen ein?«, fauchte Valerie James’ Bruder an.
»Ich habe gerade zufällig das kleine Geplänkel zwischen meinem Bruder und seiner Zukünftigen mitbekommen. Das, was du auch belauscht hast. Also, unter uns, ich würde einspringen, wenn mein Bruder ausfällt. Ich fände das sehr reizvoll, eine Mulattin im Arm zu halten. Die schwarzen Mädchen sind Meisterinnen der Liebe.«
Valeries Miene versteinerte. Für diesen Mistkerl war ihr jedes Wort zu schade. Stattdessen wollte sie sich wortlos an ihm vorbeidrücken und verschwinden, doch er packte sie grob bei den Schultern. »Von mir kannst du alles haben, du kleine Wildkatze«, raunte er anzüglich und versuchte, sie zu küssen. Valerie verpasste ihm eine schallende Ohrfeige, bevor sie sich auf dem Absatz umdrehte.
»War ja nur ein Versuch. Aber wenn du nicht willst, bitte! Dann habe ich einen anderen Vorschlag: Ich verhelfe dir zur Ehe mit meinem Bruder, und du verrätst mir das Geheimnis eures einzigartigen Rums!«
Valerie fuhr empört herum und zischte: »Ich bin nicht käuflich, und wenn Sie es noch einmal wagen, mir zu nahe zu kommen, bringe ich Sie um!«
Richard Fuller brach in dröhnendes Gelächter aus. Es verfolgte sie, bis sie um die Straßenecke gebogen war.
6
Flensburg, August 1830
M ein einstiger Feind hat tatsächlich Wort gehalten.
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