Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
wir tauschen?«, wisperte sie aufgeregt. »Wenn ich hier sitze, muss ich die ganze Zeit diese Leute sehen. Du kannst mir nicht weismachen, dass du die Tensons und Fullers nicht gesehen hast!«
»Ich entscheide, wen ich sehe«, gab Hanne zurück, während sie aufstand und den Platz einnahm, von dem sie einen freien Blick auf den Tisch der Tensons und Fullers genoss. Ihr schien es aber nicht das Geringste auszumachen, denn sie bestellte eine Flasche Champagner und orderte die Karte.
Valerie aber musste ein paarmal tief durchatmen, damit ihr heftiges Herzklopfen nicht bis zu James hinüberschallte.
»Was machen sie jetzt?«, fragte sie aufgeregt, um sogleich eine abwehrende Geste zu machen. »Ach, ich will es gar nicht wissen!«
»Elizabeth Hamilton erhebt ihr Glas Champagner, und alle tun es ihr gleich. Bis auf ihren Sohn James, der in diese Richtung stiert, als habe er einen Geist gesehen. Und das, obwohl Mary Tenson ihm ganz offensichtlich ihren Ellenbogen in die Rippen gerammt hat.«
»Meinst du, sie feiern deren offizielle Verlobung?«, fragte Valerie erschrocken.
Hanne legte den Kopf schief. »Was soll ich sagen? Du weißt, dass es mir mehr als recht wäre, wenn James Fuller dir nicht länger den Kopf verdrehen würde, doch so, wie er auf dein Erscheinen reagiert, gilt zu befürchten, dass er der guten Elizabeth seinen Gehorsam verweigert, und das kann die Gute gar nicht leiden. Oho, sie wirft mir einen Blick zu, der mich vom Stuhl kippen ließe, wenn Blicke töten könnten.«
Hannes Gesicht verzog sich zu einem falschen Lächeln, und sie winkte Misses Fuller damenhaft zu, bevor sie sich in die Speisekarte vertiefte.
»Ich denke, ich nehme einen Fisch in Kokosmilch, und du, meine Kleine?«
»Mir ist der Appetit vergangen!«, gab Valerie zurück, tat aber ihrerseits so, als sei sie intensiv mit dem Studieren der Speisekarte beschäftigt.
»Das kommt gar nicht in Frage, dass wir uns von denen das schöne Essen verderben lassen«, erwiderte Hanne ungehalten.
In diesem Moment kam der Champagner. Hanne strahlte. Sie liebte dieses prickelnde französische Getränk. Nachdem der Kellner ihnen eingegossen hatte, prostete Hanne ihrer Enkelin zu.
»Auf dass du eines Tages zur guten Herrin über das Imperium des Hensen-Rums wirst.«
Zögernd erhob Valerie ihr Glas. »Das kommt alles ziemlich überraschend«, raunte sie. »Dann werde ich wohl dein Schicksal teilen und als alte Dame allein auf dem Hügel thronen. Nur mit dem Unterschied, dass du wenigstens einen Mann von Herzen geliebt hast.«
Hanne wurde ernst. »Das stimmt, ich habe einen Mann aus vollem Herzen geliebt. Und nur, weil der junge Fuller aus Gründen, die du noch verstehen wirst, niemals dein Mann werden kann, heißt das noch lange nicht, dass du ledig bleibst.«
»Wen schlägst du denn vor, Grandma? Deinen Verwalter vielleicht?« Valerie bereute – kaum, dass sie die Worte ausgesprochen hatte –, dass sie den Gedanken überhaupt hatte. Sie rechnete fest damit, dass ihre Großmutter sie wegen dieser Bemerkung kritisieren würde, doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen hob ihre Großmutter das Glas noch höher und ließ spöttisch verlauten: »Auf diese Idee bin ich noch gar nicht gekommen, aber, wenn ich es mir recht überlege, wäre das nahezu ideal. Das Geheimnis bliebe in der Familie.«
Entsetzt stellte Valerie ihr Glas auf dem Tisch ab, ohne einen Schluck genommen zu haben. »Grandma, das meinst du nicht ernst, oder«, fauchte sie.
»Natürlich nicht!«, sagte Hanne hastig. Mit einem Blick zu dem Tisch der Tensons und Fullers, an dem jetzt laut gelacht wurde, fügte sie hinzu: »Tu wenigstens so, als würdest du mit mir anstoßen und dich freuen. Denn sonst wird dein Verehrer womöglich noch an unseren Tisch kommen. Er sieht so aus, als würde er jeden Moment von seinem Stuhl aufspringen.«
Valerie verzog das Gesicht zu einem verkrampften Lächeln und prostete Hanne zu. »Gut so?«, fragte sie und übertrieb ihr Lächeln noch ein wenig mehr.
»Wenn du dir nun noch etwas zum Essen aussuchst, bin ich zufrieden«, erklärte Hanne, während sie ihren Blick noch einmal zum Tisch der vergnügten Gesellschaft schweifen ließ. »O Gott, nein!«, entfuhr es ihr da erschrocken, und ihr Lächeln erstarb.
»Kommt er an unseren Tisch?« Valerie lief bei der Vorstellung rot an.
»Schlimmer!«, zischte Hanne, aber da war es zu spät. Der Herr des Gesamthandelshauses, Mister Fuller, war an den Tisch getreten.
Valerie atmete erleichtert auf.
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