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Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)

Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ava Bennett
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zuckte die Achseln. »Wenn ich das wüsste. Auf jeden Fall muss es jemand sein, der ebenfalls im Rumgeschäft tätig ist und wissen möchte, warum ich die größten Gewinne von allen mit meinem puren Rum erziele. Aber musst du dich nicht noch umziehen?«
    Valerie sah an sich hinunter. Sie trug immer noch ihr Reiterkostüm, denn sie hatte auch an diesem Tag, wie an jedem Morgen, gleich nach dem Aufstehen einen Ausritt auf Black Beauty gemacht.
    »Gut, gut«, knurrte sie. »Dann könnt ihr endlich ungestört reden.«
    Als sie nach kurzer Zeit in einem hellen Kleid in den Salon zurückkehrte, waren Mister Gerald und Großmutter tatsächlich in ein angeregtes Gespräch vertieft. Kaum dass Valerie im Türrahmen erschien, verstummten sie.
    »Können wir?«, fragte sie.
    »Aber selbstverständlich, Miss Sullivan«, entgegnete der Verwalter mit dem dunklen Lockenschopf und reichte ihr höflich den Arm.
    Hanne wünschte ihnen »Viel Spaß!«. Sie war heilfroh darüber, dass ihre Enkelin endlich wieder einmal in die Stadt ging. Der Gedanke, dass sie eine solche Einsiedlerin würde, wie sie selbst eine war, missfiel ihr außerordentlich. Wichtig war ihr überdies, dass ihr Interesse an diesem jungen Fuller erlahmt war, und wenn sie es richtig einschätzte, hatten ihre mahnenden Worte über Gerald Franklin ihre Wirkung gezeigt. Valerie schien nicht für den Verwalter entflammt zu sein, obwohl dieser, und das räumte auch Hanne ein, durchaus ein anziehender Kerl war. Er erinnerte sie entfernt an Hauke Jessen, der auf den ersten Blick ebenso viel Männlichkeit ausgestrahlt hatte und sich dann nicht nur als Feigling, sondern auch als Schuft erwies.
    Hanne stieß einen tiefen Seufzer aus. Nein, daran wollte sie keinen Gedanken mehr verschwenden. Jahrelang hatte sie es geschafft, diese ganze schreckliche Geschichte zu verdrängen. Doch seit sie ihrer Enkelin das Tagebuch anvertraut hatte, verging kein Tag, an dem sie sich nicht daran erinnerte. Und noch schlimmer waren die Nächte. Hauke Jessen war ihr im Traum gar in Gestalt des Teufels erschienen. Allein der Gedanke an diese hässliche Fratze jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken.
    »Aber bitte nehmt die Kutsche«, rief sie den beiden hinterher.
    Valerie war schon in der Tür und wandte sich murrend um. Sie wäre weit lieber geritten, aber so schlug sie mit Gerald den Weg zum Stall ein und ließ Jerome anspannen.
    »Und nun erzählen Sie mir mal vom Geheimnis der Destille«, forderte Valerie ihn lächelnd auf, nachdem sich die Kutsche in Bewegung gesetzt hatte.
    Er drohte ihr scherzhaft mit dem Finger. »Sie sind mir ja eine ganz Schlaue. Aber meine Lippen sind versiegelt. Der einzige Mensch, der Auskunft über das gibt, was sich in der Brennerei abspielt, ist Ihre Großmutter. Doch seien Sie gewiss. Als Ihre Nachfolgerin werden Sie früh genug in unser Erfolgsrezept eingeweiht.«
    »Schon gut, das war ja nur ein Versuch. Ich habe bereits befürchtet, Sie würden schweigen wie ein Grab.«
    Als die Kutsche plötzlich durch ein Schlagloch ruckelte, rutschte Valerie dem Verwalter beinahe in den Arm. Sie wunderte sich selbst, dass sich der Zauber, den sie ihm gegenüber bei ihrem Plantagenbesuch empfunden hatte, verflüchtigt hatte. Ist es Großmutters Hinweis, dass der Verwalter ein Frauenheld sein soll, oder liegt es an meinen Träumen?, fragte sich Valerie. Seit Tagen träumte sie jede Nacht von James und dass sie einander mehr als leidenschaftlich küssten. Ihr wurde heiß, wenn sie nur daran dachte.
    Daran änderte auch der Umstand nichts, dass der Verwalter ihr in diesem Augenblick zuraunte: »Sie sind eine wunderschöne Frau, Misses Sullivan. Hat Ihnen das schon einmal jemand gesagt?«
    Valerie war froh, als die Kutsche am Hafen hielt. Sie sprang ungestüm aus dem Wagen und stürzte sich ins Gewühl. Hier herrschte das pralle Leben. Menschen aller Hautfarben waren damit beschäftigt, die Schiffe zu be- und entladen, Fischer boten ihre Ware feil, und käufliche Frauen waren auf der Suche nach Freiern. Aus dem Stimmengeschwirr konnte Valerie schwerlich heraushören, woher diese Menschen ursprünglich stammten. Die Inder sprachen ein völlig anderes Englisch als die Schwarzen, und die englischen Kapitäne wieder ein anderes als die weißen Arbeiter, die auf der Insel lebten. Valerie liebte die Geschäftigkeit, die am Hafen herrschte. Sie war zu lange allein oben auf dem Hügel geblieben. Wie es mir gefehlt hat, unter Menschen zu gehen, dachte sie, während sie sich mit

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