Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
Schultern. Als ich mich erschrocken umwandte, sah ich in die hämisch grinsende Fratze des Kerls.
»Na, bittest du den Herrn, dich von der Plage des alten Mannes zu befreien?«
Ich bin nicht besonders gläubig, aber im Gotteshaus um mich zu schlagen, brachte ich nicht über mich. Stattdessen sprang ich von der Kirchenbank auf und verließ die Kirche, als sei der Teufel hinter mir her.
Nach diesem Erlebnis habe ich mit mir gerungen, ob ich Pit nicht doch einweihen sollte, aber ich befürchte, er möchte ungern an den anderen Mann erinnert werden, mit dem ich fortlaufen wollte. Er erwähnte die Sache zwar nie, aber manchmal, wenn er glaubte, er sei unbeobachtet, musterte er mich zweifelnd. Als ob er vermutet, ich würde Hauke Jessen nachtrauern. Ich kann aber nicht dafür garantieren, dass ich ihm eines Tages nicht doch von Christians befremdlichem Benehmen mir gegenüber berichte. Pit würde seinen Neffen nämlich lieber heute als morgen auf einem Schiff nach Saint Croix wissen, und zwar ohne Rückfahrt! Pit hat es mir selbst erzählt. Wie auf ein krankes Tier habe er auf seinen Neffen eingeredet, doch die einmalige Chance der Jungfernfahrt zu nutzen. So gern würde er ihn an Bord der Hanne von Flensburg sehen. Ohne Erfolg! Ich bin fest davon überzeugt, er führt etwas im Schilde, aber was? Jedenfalls bin ich davon überzeugt, dass er derjenige ist, der die Geschichte von meiner missglückten Flucht in der ganzen Stadt herumerzählt hat. Hoffentlich ist es Pit noch nicht zu Ohren gekommen. Es würde ihn nur unnötig verletzen.
Meine Hand tut weh vom vielen Schreiben, doch es lohnt sich. Seit meine Freundinnen ehrbare Ehefrauen sind, habe ich keinen mehr, mit dem ich offen sprechen kann. Sie übertrumpfen sich alle mit Beteuerungen, wie gut es ihnen geht. Und denen, die mittlerweile ihr erstes Baby bekommen haben, nehme ich das sogar ab, und ich gestehe, ich beneide sie glühend. Was würde ich darum geben, so ein kleines Mädchen oder einen kleinen Jungen auf dem Arm zu halten …
Gestern allerdings habe ich mich ernsthaft gefragt, ob Pit mir womöglich eine Krankheit verheimlicht. Er wirkte so melancholisch und hatte offenbar mehr dem Rum zugesprochen als sonst. Und dann hat er mich in sein Arbeitszimmer gebeten, ganz feierlich eine Lade aufgeschlossen und diverse Zeichnungen vor mir ausgebreitet. Ich hatte keinen Schimmer, was das darstellen sollte.
»Das sind Ideen, wie man Destillate ergiebiger machen kann. Und du sollst im Fall meines Todes wissen, dass es diese Zeichnungen gibt«, sagte er plötzlich ganz ernst.
»Rede doch nicht solch einen Unsinn«, habe ich geschimpft. Er aber hat mein Gesicht in beide Hände genommen und mich fast mitleidig gemustert.
»Ich bin nun einmal älter als du.«
Ja, und noch einmal ja, das weiß ich doch, aber muss er das so getragen zum Besten geben, während ich allein mit dem Gedanken beschäftigt bin, wie wir endlich ein Kind bekommen können? Tränen der Wut rannen mir über die Wangen. »Du bist jünger als so manch anderer!«, habe ich geschluchzt.
Er hat die Lade hastig wieder geschlossen und den Schlüssel vor meinen Augen in das Gehäuse einer alten Standuhr gesteckt.
Ich habe seine Hand genommen und ihn ins Schlafzimmer geführt. Wir haben uns so heftig geliebt wie noch nie zuvor. Fast so, als wäre es das letzte Mal. Mit einer Mischung aus Leidenschaft und Verzweiflung.
Verdammt, ich will das nie mehr hören, dass er an seinen Tod denkt! Er hat es mir versprechen müssen, denn seine Worte haben in mir ein Unwohlsein ausgelöst, das ich einfach nicht mehr loswerde. Ein diffuses Gefühl, als drohe ein Unheil. Das ist natürlich völliger Blödsinn, aber ich kann nichts dagegen tun. In diesem Augenblick mache ich mir zum Beispiel Gedanken, warum Pit noch nicht zu Hause ist. Dabei kehrt er immer erst gegen sieben Uhr aus seinem Kontorhaus zurück. Vorher macht er jeden Abend einen Kontrollgang durch seinen Keller. Da lagern die Fässer, die er bereits aus dem Zollpackhaus hat abholen lassen. Ich glaube, er nimmt auch jedes Mal ein Schlückchen. Jedenfalls hat er jeden Abend eine leichte Fahne, wirkt aber nicht betrunken. Ich ärgere mich, dass ich so gar nichts gegen die dumme Angst, die mir die Kehle zuschnürt, unternehmen kann.
Kein Wunder, dass ich zusammengezuckt bin, als es jetzt an meiner Tür klopfte. Aber es ist nicht Pit. Das hört sich anders an. Ich vermute, es ist Heike, unser neues Mädchen, die es erst kürzlich aus ihrer Heimat, der Insel
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