Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
Berg, aber weil Lene doch so oft allein zu Hause ist, werden sie ihr Haus auf dem Holm aufgegeben und bei Vater einziehen. Damit sind sie dann meine direkten Nachbarn, und ich brauche nur noch ein paar Schritte zu meinem Neffen. Darauf freue ich mich riesig. Noch mehr würde ich mich allerdings darüber freuen, wenn Jannis bald mit seinem Cousin oder seiner Cousine im gemeinsamen Park spielen könnte.
Wie zu Hause habe ich auch in Pits Haus das Turmzimmer für mich. Unter dem Fenster steht mein kleiner Schreibtisch, aber ich finde kaum noch Zeit, mein Tagebuch zu füllen. Es ist das erste Mal, seit ich Pit Hensen das Jawort gegeben habe, dass ich die Muße dazu habe. Das liegt an Lene. Heute hat sie darauf bestanden, einen Tag mit Mann und Kind allein zu verbringen. Ich vermisse den kleinen Jannis jetzt schon!
Für Vater war es damals ein großer Trost, als ich ihm mitteilte, dass ich Pit Hensens Frau würde. Wir haben mit der Heirat aber bis zum September gewartet, weil wir nicht so kurz nach Mutters Begräbnis feiern wollten. Das ist nun über ein Jahr her, und doch erinnere ich mich an das Fest noch, als wäre es gestern gewesen. Ich trug ein wunderschönes weißes Kleid. Darum haben mich meine Freundinnen glühend beneidet, weil nicht jede von ihnen in einem derart speziellen Kleid geheiratet hat. Doch Pit hatte gerade Stoffe aus Ostindien bekommen und darauf bestanden, dass der Schneider mir ein Hochzeitskleid nähte. Ach, was soll ich sagen? Es war ein rauschendes Fest. Pit war zwar zu später Stunde ein wenig beschwipst, aber er hat trotzdem wilder getanzt als die jungen Burschen. Das Einzige, das ich gern aus meiner Erinnerung streichen würde, war mein Tanz mit Pits Neffen Christian, den ich ja ohnehin nicht leiden kann.
Er zog mich beim Wiener Walzer viel zu eng an sich heran. Ich konnte seinen Atem in meinem Nacken spüren. Ekelhaft! Doch was er mir zuraunte, schlug dem Fass den Boden aus. »Na, kleine Braut, denkst du insgeheim daran, wie es wäre, wenn statt des alten Mannes Hauke dein Bräutigam wäre?« Ich war regelrecht sprachlos, und das geschieht mir ansonsten eher selten.
Vor allem habe ich an Hauke Jessen keinen Gedanken mehr verschwendet, seit ich erkannt hatte, was für ein ungleich feinerer Mann Pit Hensen war.
Doch das war nicht alles, was er mir zuflüsterte. Ich mag kaum aufschreiben, was er von sich gegeben hat, aber es lässt sich schwerlich verdrängen. »Wenn du den Alten mal satt hast und ihn loswerden willst, wende dich vertrauensvoll an mich!« Als Antwort trat ich ihm mit voller Wucht gegen das Schienbein. Es kam so überraschend für ihn, dass er laut aufjaulte. Ich nutzte seinen Schmerz und ließ ihn auf der Tanzfläche stehen.
»Was war denn da los?«, fragte mich mein frischgebackener Ehemann wenig später. »Ich bin ihm versehentlich auf den Fuß getreten«, entgegnete ich hastig. Ich weiß auch nicht, warum ich ihm nicht die Wahrheit sagte. Wahrscheinlich wollte ich ihn schützen. Die Gemeinheiten aus dem Mund seines Neffen hätten ihn sicherlich schwer getroffen, auch wenn er das niemals zugegeben hätte. So ganz hat er mir das Missgeschick beim Tanzen allerdings nicht abgenommen, denn ich tanze sehr gut und trete meinen Partnern nie auf den Fuß.
Seitdem begegnet mir Christian mit gespielter Höflichkeit. Man kann sich ja leider nicht gänzlich aus dem Weg gehen. Erst vor wenigen Wochen standen wir anlässlich einer Schiffstaufe ganz nahe nebeneinander an der Pier. Pit hat einen Viermaster bauen lassen, der meinen Namen trägt. Hanne von Flensburg. Ich habe die stolze Bark getauft. Nun wartet sie im Hafen darauf, auf Jungfernfahrt zu gehen. Heinrich wird sie demnächst nach Saint Croix schippern. Wenn ich in Pits Begleitung bin, traut sich der Kerl nicht an mich heran.
Unangenehm wird es immer dann, wenn ich allein bin. Das ist aber nur zweimal vorgekommen. Einmal habe ich vor dem Handelshaus auf Pit gewartet, da tauchte Christian auf. Aus seinen Augen sprach der nackte Hass. Er hatte schon zum Sprechen angesetzt, da erschien Pit in der Tür, und sein Neffe stieß nur noch heiser hervor: »Guten Tag, werte Tante Hanne!«
Das andere Mal war ich allein nach Sankt Nikolai gegangen. Ich wollte Gott darum bitten, dass er uns endlich ein Kind schenkt. So ganz sicher war ich mir nicht, dass eine solche Bitte auch von Erfolg gekrönt sein könnte, aber Vaters Köchin hatte mir dazu geraten. Während ich noch nach den richtigen Worten suchte, tippte mir jemand auf die
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