Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
seinem eigenen Rumfass ertränkt.
Ich brach nicht in Tränen aus, wurde nicht hysterisch. Nichts dergleichen geschah. Ich fühlte mich wie betäubt, spürte gar nichts. Meine Gliedmaßen schienen wie abgestorben, und mein Herz war leer.
Immer und immer wieder strich ich Pit über das klebrige Haar. Meine Hand stank bald genauso nach Rum wie sein Kopf. Ich war zu keinem vernünftigen Gedanken fähig. In meinem Kopf ging alles durcheinander. Ich musste Hilfe holen, aber es gab nichts mehr zu helfen. Ich musste den Keller verlassen, aber ich mochte ihn nicht allein zurücklassen.
Ich weiß nicht, wie lange ich neben meinem toten Mann am Boden gekauert hatte und immer noch nicht wirklich begriff, was geschehen war. Erst als ich laute Schritte hörte, erwachte ich aus meiner Erstarrung.
»Hilfe!«, wollte ich rufen, doch kein Ton entrang sich meiner trockenen Kehle. Mir war, als hätte ich meine Stimme verloren. Nicht dass mich ein solcher Verlust in dieser Lage besonders geschockt hätte … es wäre mir gleichgültig gewesen; erst im Nachhinein wurde mir klar, dass so ein Hilferuf aus meinem Munde allerdings alles, was dann geschehen sollte, verändert hätte. Dann nämlich hätte man mich nicht stumm neben dem Leichnam meines ermordeten Mannes vorgefunden.
Das Erste, was ich wahrnahm, nachdem die herannahenden Schritte verklungen waren, war der entsetzte Aufschrei eines Mannes. Er rief meinen Namen, und ich wusste auch entfernt, wem die Stimme gehörte, aber ich rührte mich nicht vom Fleck und wandte meinen Blick nicht von Pits angstverzerrter Fratze ab.
Heinrich tippte mir von hinten auf die Schulter.
»Hanne, was ist geschehen?«
»Er muss … er ist … er … ich weiß es nicht, aber sein Kopf, sein Haar, es ist alles rumgetränkt, er muss im Fass ertrunken sein …«, stammelte ich.
»Aber das ist absurd. Er wird doch nicht freiwillig seinen Kopf in das Fass gesteckt haben«, entgegnete Heinrich unwirsch.
»Nein, da hat jemand nachgeholfen!«, stellte ein zweiter Mann ungerührt fest. Wenn mich nicht alles täuschte, handelte es sich um Christian Hensen. Spätestens in diesem Moment hätte ich aus meinem Schock erwachen müssen. Es hätte mir wie Schuppen von den Augen fallen müssen, was hier gespielt wurde. Das aber konnte diese leere Hülle, die wieder und wieder durch Pit Hensens rumdurchweichtes Haar strich, nicht begreifen. Ich hätte in diesem Augenblick wahrscheinlich nicht einmal meinen Namen gewusst. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass Christian eine ungeheuerliche Behauptung aufstellte, der ich unter anderen Umständen heftig widersprochen hätte.
»Sie war es, Heinrich! Wahrscheinlich ist sie verrückt geworden, weil sie meinen Onkel heiraten musste. Und das konnte sie nicht länger ertragen!«
»Reden Sie nicht einen solchen Unsinn!«, brüllte Heinrich. Auch die Tatsache, dass er mich glühend verteidigte, ließ mich kalt.
Im Gegenteil, ich wollte nichts mehr von dem Geschwätz der beiden hören. Ich wollte mit Pit allein sein. Nur wir beide auf dem kalten Steinboden. Noch immer hingen ihm feuchte Strähnen in die Stirn.
»Bitte geht. Alle beide«, murmelte ich.
»Jetzt verstehe ich, warum ich glaubte, Hauke Jessen in der Stadt gesehen zu haben. Ich habe es auf die Grogs geschoben, die ich gestern Abend getrunken habe. Dabei war ich mir ganz sicher, dass es seine Gestalt war, die im Schatten eines Speichers gestanden hat. Doch als ich näher kam, war er verschwunden. Er war es, denn er ist ihr Komplize!«
Christian Hensens Wort drangen wie von ferne an mein Ohr, aber ich verstand ihren Sinn nicht.
»Sie wollen nicht behaupten, dass …« Heinrich stockte.
»Das festzustellen, ist nicht unsere Sache. Bleiben Sie bei ihr, und passen Sie auf, dass sie nicht flüchtet. Ich hole inzwischen die Polizei«, befahl Christian daraufhin.
Ich hörte das wohl, aber es berührte mich nicht. Ich hatte nicht das Empfinden, dass seine Worte mich betrafen. Plötzlich fiel mir die Melodie eines Liedes ein, das meine Mutter uns einst beigebracht hatte. Leise begann ich zu singen: »Dat du mien Leevsten büst, dat du wohl weeßt. Kumm bi den Nacht, kumm bi den Nacht, segg wo du heeßt. Kumm du …«
Da packten mich zwei kräftige Pranken und zogen mich hoch. Ich verstummte erschrocken und blickte in das entgeisterte Gesicht meines Schwagers. Ich wollte mit dem Singen fortfahren, doch Heinrich schüttelte mich wie eine Puppe hin und her und brüllte verzweifelt: »Hör auf! Hör
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