Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
beschämt. Und außerdem meint Grandma es doch nur gut, dass sie dieses Essen gibt. Schließlich ist Ethan Brown kein reicher alter Kerl, den eine Frau aus finanziellen Gründen heiratet, sondern ein gut aussehender junger Mann, nach dem sich, sobald sich dessen Anwesenheit in Montego Bay herumgesprochen hat, die ledige Damenwelt nur so reißen wird.
Als könnte Ethan Gedanken lesen, sagte er: »Heute habe ich einen Hausbesuch bei einer jungen Dame der feinen Gesellschaft gemacht, die Sie gut zu kennen schien.«
Valerie versuchte, ihre brennende Neugier hinter vorgespieltem Gleichmut zu verbergen. »Ich kenne fast alle jungen Damen der feinen Gesellschaft. Die meisten zählen zu meinen Freundinnen«, erwiderte sie hochmütig und konnte sich selbst nicht leiden, zumal es eine Lüge war. Seit das Gerücht umging, sie besitze schwarzes Blut, hatte sie gar keine Freundinnen mehr. Außer Cecily …
»Diese Dame gehörte wohl eher nicht zu Ihren Freundinnen. Ich erzählte ihr beiläufig, dass ich heute bei den Damen Sullivan zum Dinner eingeladen wäre, da richtete sie sich trotz des Fiebers, an dem sie erkrankt war, plötzlich auf, und ihre glühenden Wangen wurden bleich. Diese Miss Tenson behauptete doch allen Ernstes, Sie würden alles daran setzen, ihr den Verlobten auszuspannen.«
»Und das glauben Sie so einfach?«, schnaubte Valerie, der allein die Nennung des verhassten Namens die Zornesröte auf die Wangen trieb. Die Unterhaltung zwischen Doktor Brown und Hanne war jäh verstummt. Beide sahen sie gleichermaßen irritiert an. Auch in Ethans Blick lag Ratlosigkeit.
»Nein, natürlich habe ich ihr kein Wort abgenommen. Ich fand nur, Sie sollten wissen, was da für Gerüchte über Sie in Umlauf sind.«
»Das ist aber reizend von Ihnen«, spottete Valerie. »Was hat sie denn noch erzählt? Dass ich angeblich ein Mischling bin, durch dessen Adern Negerblut fließt? Hat sie Sie davon abhalten wollen, uns dubiosen Damen einen Besuch abzustatten? Und bedauern Sie es jetzt, mich zum Cricket und zum Ausreiten eingeladen zu haben, wo Sie von diesem weiteren Gerücht, das in Montego Bay herumgeistert, hören? Aber fragen Sie meine Grandma. Es ist offensichtlich nichts dran!« Valerie hatte sich rasch in ihren Zorn hineingesteigert. Dabei wusste sie sehr wohl, dass ihre Wut nicht Ethan galt, sondern Mary Tenson und all diesen dummen Gänschen der feinen Gesellschaft, die sie schnitten, seit Misses Fuller das Gerücht in der ganzen Bucht gestreut hatte. Und sie spürte zum ersten Mal, dass ihr die üble Nachrede keineswegs gleichgültig war, denn sie wollte kein Mischling sein!
Herausfordernd funkelte Valerie ihre Großmutter an. »Nun sag es ihm doch. Dass nichts an dem Gerücht dran ist! Und verweise mich ja nicht auf dein Tagebuch. Ich denke, unser Gast würde es gern genau wissen. Nicht wahr, Ethan? Sie möchten Gewissheit, bevor sie sich mit mir in der Öffentlichkeit blicken lassen … Geben Sie es ruhig zu! Aber meine Großmutter wird Ihnen umgehend versichern, dass durch meine Adern allein weißes Blut fließt und ich …«
»Halt ein, Valerie!«, unterbrach Hanne ihre Enkelin in warnendem Ton.
»Wieso? Es ist doch die Wahrheit. Es gab schon einmal einen jungen Mann, der mir vorgegaukelt hat, Gefühle für mich zu haben, der aber verschwunden ist, nachdem ihm diese Gerüchte zu Ohren gekommen sind …«
»Valerie, bitte nicht!« Hannes Worte klangen flehend, aber ihre Enkelin schien das zu überhören. Im Gegenteil, sie hatte sich dermaßen in Wut geredet, dass sie nichts mehr von dem wahrnahm, was um sie herum geschah. Weder den verzweifelten Blick des alten Doc Brown noch den mitleidigen Blick seines Enkels.
»Also, Ethan, bevor Sie mir weitere Komplimente machen, warten Sie bitte auf die klärende Antwort meiner Großmutter, die es wohl wissen wird, ob mein Vater womöglich ein Mischling gewesen ist …«
»Dein Vater war ein Weißer«, erwiderte Hanne in einem merkwürdigen Ton, der Valerie hätte stutzig machen müssen, doch sie hatte in diesem Moment kein Gespür für Zwischentöne. Im Gegenteil, ihr war so, als würde die ganze Geschichte wie ein Vulkan, der schon lange unter der Oberfläche brodelt, zum Ausbruch kommen. Valerie spürte nur noch die Verletzung, die sie deshalb erfahren hatte, den Schmerz über James’ Verhalten und die Enttäuschung, dass ihre Großmutter nicht zu Miss Fuller gegangen war und ihr untersagt hatte, weiterhin solche Lügen zu verbreiten.
»Da hören Sie es aus dem
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