Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
sie das Haus von Doktor Brown erreicht hatte, doch sie war noch nicht bei den schützenden Vordächern der Hauptstraße angelangt, als es wie aus Eimern vom Himmel kam.
Die kühlende Wirkung war angenehm, aber binnen kürzester Zeit war Valerie durchnässt bis auf die Haut. Es hatte wenig Zweck, dass sie sich noch unterstellte. Im Gegenteil, sie raffte ihr klitschnasses Kleid, damit der Saum sich nicht vollsog, und rannte los.
Sie schüttelte sich wie ein nasser Hund, als sie unter dem schützenden Vordach von Doktor Browns Haus angekommen war.
Eine wunderschöne schwarze Frau, deren Haut von einem samtigen Braun war, öffnete ihr die Tür und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
»Missus, Sie brauchen ein trockenes Kleid, sofort!«, rief sie und zog sie ins Haus. Dort schob sie Valerie in die Küche und bat sie zu warten. Wenig später kehrte sie mit einem Rock und einer Bluse über dem Arm zurück und reichte ihn der überrumpelten Valerie. Sie wollte protestieren, doch die Haushaltshilfe duldete keine Widerrede. Unwillig zog sie ihr nasses Kleid aus und schlüpfte in Rock und Bluse der Schwarzen, die in Begeisterungsrufe ausbrach und die skeptisch dreinschauende Valerie schließlich zum Garderobenspiegel in der Diele zerrte.
Ein Lächeln erhellte Valeries Gesicht, als sie sich in der weißen Bluse und dem weit schwingenden, bunten Rock sah. Dieser Anblick war ihr zwar fremd, aber durchaus reizvoll, wie sie zugeben musste. Die Bluse besaß einen weiten Ausschnitt und zeigte anders als ihre braven Kleider ihre makellose Haut, die eben nicht so schneeweiß war wie die einer jungen Engländerin. Verwundert stellte sie fest, dass beides wie angegossen passte, doch ein prüfender Blick auf die Haushaltshilfe erklärte das. Die Frau war ebenfalls groß und schlank wie sie selbst.
»Bezaubernd. Einfach bezaubernd!«, ertönte mit einem Mal Ethans Stimme voller Begeisterung.
Valerie fuhr herum und war sichtlich verlegen.
»Die Missus war pitschnass. Sie hätte sich erkältet. Und ich hänge die Sachen jetzt zum Trocknen auf«, erklärte die Mulattin entschuldigend.
»Rosa, das ist keine Missus. Wie oft soll ich dir das bloß sagen? Das ist Miss Sullivan. Wir leben doch nicht mehr in der Sklavenzeit.« Dann wandte er sich an Valerie und musterte sie noch einmal prüfend von Kopf bis Fuß. »Sie sollten sich immer Rosas Kleider ausleihen, die stehen Ihnen sehr gut.«
Valerie zog es vor, die Bemerkung, die ihr gerade auf der Zunge lag, hinunterzuschlucken. Ethan wusste anscheinend nicht, was los sein würde, wenn sie so auf die Straße ging. Die Leute würden sie für eine Bedienstete halten. Keine junge Lady aus der feinen Gesellschaft trug solche Kleidung.
»Ich wollte mich bei Ihnen … also, ich bin hier, um …«, stammelte sie.
»Kommen Sie doch erst einmal in den Salon«, bat Ethan seine Besucherin. »Rosa, ob Sie uns einen Tee bringen könnten? Nicht dass Miss Sullivan sich einen Schnupfen holt.«
Ethan reichte Valerie seinen Arm. Zögernd hakte sie sich bei ihm unter. Sie wusste auch nicht, warum sie sich noch einmal umdrehte. Es war ein seltsames Bild, das sich ihr da bot. Die Hausangestellte stand mitten im Flur und schaute ihnen hinterher. Und zwar mit einem Blick, der Valerie kalte Schauer über den Rücken jagte. Hastig wandte sie sich wieder um.
Sie hegte recht gemischte Gefühle. Einerseits fühlte sie sich in Ethans Gegenwart wohl, weil er ungezwungene Umgangsformen pflegte und über einen gesunden Humor verfügte. Andererseits fragte sie sich, ob er ihr diese Lockerheit nicht nur vorspielte, um zu kaschieren, wie sehr ihn ihr plötzliches Verschwinden in Falmouth gewurmt hatte. Woran war sie bei ihm wirklich? Und was war in Rosa gefahren, die ihr doch anfänglich so freundlich entgegengetreten war?
Plötzlich hatte Valerie das Bedürfnis, dieses Gespräch so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. »Ich will mich nicht mit langen Vorreden aufhalten«, beeilte sie sich zu sagen. »Ich bin gekommen, um mich bei Ihnen zu entschuldigen. Es war nicht die feine Art, Sie zum Cricketspiel zu begleiten und mich aus dem Staub zu machen, zumal Doktor Wilson Ihnen sicher geschildert hat, was mich zum Aufbruch bewogen hat. Nicht wahr?«
»Ich bedaure, aber Wilson hat sich äußerst bedeckt gehalten. Er hat mir lediglich ausgerichtet, Sie hätten aufbrechen müssen und ihn gebeten, mich in seiner Kutsche nach Montego Bay mitzunehmen.«
Valerie war erleichtert. Dann kannte er also den Grund
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