Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
wobei es natürlich besser gewesen wäre, du hättest dir einen völlig fremden Namen ausgedacht.«
»Ole würde nie ein Sterbenswort verraten. Selbst wenn er wüsste, wer ich wirklich bin«, entgegnete ich eine Spur zu heftig, was mir einen prüfenden Blick meines Schwagers einbrachte.
»Richtig, Ole würde nie etwas verraten, wenn ich ihn darum bitte!«, erklärte er nachdrücklich.
Ich habe Heinrich eigentlich schon an dem Tag angemerkt, dass ihm die Angelegenheit zumindest merkwürdig vorkam, aber er hat mich bisher noch nicht darauf angesprochen.
Seit ein paar Tagen liegt das Schiff im Hafen von Funchal, der Hauptstadt der Insel Madeira. Dort nehmen wir Proviant an Bord, bevor wir mit dem Passatwind über den Atlantik segeln. Heinrich hat mir ein wenig über die Insel erzählt. Sie gehört zu Portugal und besitzt ein herrlich mildes Klima.
Es ist mir vergönnt, es nach Herzenslust zu genießen, denn Heinrich hat mich bei der Familie eines portugiesischen Händlers untergebracht. Als Nichte von Carl Asmussen. Die Dame des Hauses, eine freundliche rundliche Matrone, die kein Wort Deutsch oder Dänisch versteht, mit der ich mich jedoch lebhaft mit Hilfe von Händen und Füßen verständige, hat mich sehr herzlich aufgenommen. Sie umsorgt mich wie eine eigene Tochter. Offenbar hat Heinrich ihrem Mann mein Wohlbefinden ans Herz gelegt, denn Senhora Isabella liest mir jeden Wunsch von den Augen ab.
Als ich ihr heute mein Tagebuch gezeigt und in den Garten gedeutet habe, hat sie mir einen Tisch auf die Veranda gestellt. Von hier oben habe ich einen traumhaften Blick über die Bucht von Funchal. Wenn ich mich umdrehe, habe ich freie Sicht auf hohe Berge. Ich habe noch nie zuvor eine solch beeindruckende Naturkulisse gesehen. Wie auch? So schön es bei uns im Norden ist. Das Land ist flach, und mehr Erhebungen als die sieben Hügel meiner Heimatstadt kenne ich nicht. Die Berge hier sind beängstigend hoch und das Meer von einem tiefen Blau, das unsere alte Ostsee selbst an einem sommerlichen Tag nicht annimmt. Dazu weht eine leichte Brise, die einem sanft über das Gesicht streicht. Dafür, dass es mitten im Winter ist, herrscht eine angenehme Temperatur. Auf Senhoras Befehl habe ich zwar ein dickes Wolltuch um Oberkörper und Kopf gewickelt. Damit ist es auf Madeira im Garten so warm wie bei uns im Sommer.
Und es riecht unglaublich intensiv und blumig. Ich weiß zwar nicht, was es für Pflanzen sind, die meine Sinne betören, aber neben dem milden Wetter sind sie es, die mich hinaus in den Garten getrieben haben. Denn so zauberhaft und hell es hier draußen ist, drinnen im Haus ist es düster. Die Wände sind mit dunklem Holz vertäfelt, dazu gibt es nur schweres Mobiliar.
Wenn man aus dem Haus tritt, hat man das Gefühl, in eine andere verzauberte Welt zu gelangen. Obwohl ich von der Seekrankheit verschont geblieben bin, bin ich sehr froh, wieder einmal festen Boden unter den Füßen zu haben … und ich genieße es, ausgiebige Spaziergänge zu machen. Dabei komme ich aus dem Staunen nicht heraus. Diese fremdartigen Pflanzen, Häuser, Menschen. Ich denke, das ist ein Vorgeschmack auf die Welt, die mich erwartet und mit Sicherheit nichts mit der gemein hat, aus der ich komme.
Nun werde ich mein Tagebuch schließen und die restlichen zwei Tage, die mir an Land bleiben, die fremdartige Pracht genießen, so gut es geht. Natürlich habe ich auch ein wenig Angst, dass die Last der Ereignisse plötzlich doch noch über mir zusammenbricht und mich unter sich begräbt, wenn ich auf dieser herrlichen Insel ein wenig zur Ruhe komme. Wie gut, dass ich von Natur aus neugierig bin und die Abwechslung liebe. Ich glaube, sonst könnte ich den Gedanken kaum ertragen, meine Heimat womöglich niemals mehr wiederzusehen.
13
Montego Bay, Jamaika, Juni 1883
S eit dem Cricketspiel war eine knappe Woche vergangen, ohne dass Valerie zu Doktor Browns Haus gegangen wäre. Sie erfand stets neue Ausreden, mit denen sie diesen längst fälligen Besuch bei Ethan hinauszögerte. Doch für diesen Tag fiel ihr beim besten Willen nichts mehr ein. Ihrer Großmutter hatte sie die Sache in Falmouth verschwiegen, und auch mit ihrer Freundin Cecily hatte sie nicht darüber gesprochen. Im Gegenteil, sie hatte Asha aufgetragen, ausnahmslos alle Besucher abzuwimmeln. Trotzdem hoffte sie zwischendurch immer wieder, dass vielleicht James einen Versuch unternommen hatte, zu ihr vorzudringen. Schließlich hatte sie auch ihn schnöde versetzt. Doch es
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