Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
war lediglich Cecily gewesen, die täglich vergeblich zu ihr gewollt hatte.
Valerie war an diesem Morgen mit dem Gefühl aufgewacht, dass es so nicht weiterging. Sie musste ihre Probleme angehen, und zwar noch an diesem Tag. So entschied sie, zunächst Ethan aufzusuchen und nach ihrer Rückkehr eine versöhnliche Aussprache mit ihrer Großmutter zu suchen. Je mehr Valerie sich in das Tagebuch vertiefte, desto tiefer verbunden fühlte sie sich mit ihr. Und sie fühlte die Ähnlichkeit ihrer Charaktere, denn das, was ihrer Grandma widerfuhr, tat ihr weh. Vor allem wurde ihr anhand von Hannes Lebensgeschichte immer deutlicher, wie wenig sie eigentlich auszustehen hatte. Gegen das, was Grandma in ihrem jungen Leben über sich hatte ergehen lassen müssen, kam ihr das eigene Problem bisweilen lächerlich klein vor. Gut, sie war ein Mischling, etwas, das einen auf dieser Insel, wie sie am eigenen Leib hatte erfahren müssen, schnell zur Außenseiterin machen konnte. Davon aber hing ihr Überleben nicht ab. Genauso wenig wie von der Tatsache, dass James eher eine reinweiße Vernunftehe eingehen würde, als einen Mischling wie sie zu heiraten. Was er mir wohl so dringend mitteilen wollte, dass er dafür den Zorn der Zuschauer auf sich genommen hat? Missmutig versuchte sie, die Gedanken an James Fuller fortzuwischen.
Ich werde mich bei Ethan entschuldigen, sprach sie sich gut zu und drehte sich vor dem Spiegel um die eigene Achse. Sie fand sich ein wenig blass und zu dürr. Die letzten Tage hatte sie kaum etwas gegessen. Um sich ein wenig Farbe zu geben, kniff sie sich kräftig in die Wangen. Sofort glühten Apfelbäckchen in ihrem Gesicht.
Auf der Treppe nach unten begegnete ihr die Großmutter. Auch sie wirkte blass. Viel zu blass, wie Valerie besorgt feststellte.
»Ist dir nicht gut, Grandma?«
Hanne lächelte. »Doch, doch, mir geht es gut. Ich mache mir nur Sorgen um dich. Verzeih, dass du von deiner Herkunft auf so dumme Weise erfahren hast. Ich hätte es dir längst sagen sollen. Und wenn du möchtest, erzähle ich dir alles in Ruhe. Es war egoistisch von mir, dich allein auf das Tagebuch zu verweisen. Ich hatte einfach Angst, dass mich die ganze Geschichte über die Maßen belasten würde. Weißt du, ich wollte einfach nicht mehr daran denken, weil es mein Herz beschwert. Aber ich kann nicht fortlaufen …«
Valerie wollte schier das Herz brechen. Ihre Großmutter sah so unglücklich drein. Die sonst so stolze und mitunter hart wirkende alte Dame war den Tränen nah. Valerie konnte gar nicht anders, als ihre Großmutter in den Arm zu nehmen.
»Entschuldige, dass ich so unwirsch war, Grandma. Ich habe es mir überlegt. Ich möchte die Geschichte lieber aus deinem Tagebuch erfahren. Du bringst mich zum Lachen, selbst wenn du die traurigsten Dinge schilderst. Und manchmal ist mir auch zum Heulen zumute, aber es geschieht in meinem Tempo und so, wie ich es verkraften kann, denn ich kann es nicht leugnen: Ich habe das Gefühl, dass wir beide uns ähnlicher sind, als ich es jemals vermutet hätte.«
Hanne schien erleichtert. »Ach, wie schön, dass du es so siehst. Ich dachte nur, dass du vor Ungeduld platzen würdest!«
»Nicht mehr, Grandma, nicht mehr«, versicherte Valerie ihr und fügte entschuldigend hinzu: »Ich hatte einfach mein inneres Gleichgewicht verloren, seit die Gerüchte über meine Hautfarbe kursierten, aber jetzt, da ich Gewissheit habe, ist es in gewisser Weise leichter, damit umzugehen. Ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich keine Beziehung mit James eingehe …«
Hanne stöhnte gequält auf. »Ach, mein Kind, ich hoffte, du wärest mit den Gedanken längst woanders.«
Valerie musterte ihre Großmutter prüfend. »Du hast gehofft, dass Ethan mich auf andere Gedanken bringt, nicht wahr?«
»Es hat keinen Zweck zu leugnen. Ja, der junge Arzt gefällt mir, und mit seiner Familie verbindet uns kein solcher Leidensweg … ja, wenn du es genau wissen willst, ich dachte, wenn du wenigstens seinen Enkel heiratest, dann würde sich alles zum Guten wenden, ich wäre …« Hanne hielt inne und seufzte.
»Grandma! Ich will die Geschichte nicht hören. Ich möchte aber wissen, was mit dir los ist. Du hast doch was! Bist du krank?«, stieß Valerie verzweifelt hervor.
»Ich bin nur ein wenig müde. Weißt du was? Ich lege mich einfach auf mein Bett. Vielleicht ist es auch die Luft. Heute weht kein Lüftchen. Das ist nicht mein Wetter. Damit habe ich zu kämpfen, seit ich in der Karibik
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