Das Haus auf den Klippen
die Belustigung aus seiner Stimme heraus, als er
fortfuhr: »Die Sache hat nur einen Haken. Die Indianer auf dem
Cape waren nicht feindselig. Diese Räume dienten dazu, das
geklaute Schiffsgut zu verbergen, oder die Leute haben dort,
wenn sie verreisten, ihre Wertsachen versteckt. Ihre Art von
Banksafe könnte man’s wohl nennen.«
»Halten Sie’s für möglich, daß es im Remember House einen
geheimen Lagerraum gibt?« fragte Menley.
»Ist schon möglich«, bestätigte Bean. »Ich meine mich zu erinnern, daß mein letzter Mann, der dort gearbeitet hat, so was
Ähnliches erwähnt hat. Da ist ziemlich viel Platz zwischen den
Zimmern und der Hausmitte, wo man damals immer den Kamin
hingebaut hat. Aber das heißt noch nicht, daß wir je auf ein Versteck stoßen, falls es existiert. Es könnte so gut verschalt sein,
daß es höchstens ein Genie finden könnte. Eine Stelle, um mit
der Suche anzufangen, ist das Pfarrersschränkchen in der guten
Stube. Manchmal führte eine bewegliche Wand dahinter zu einem Vorratsraum.«
Eine bewegliche Wand. Sobald Menley das Gespräch beendet
hatte, beeilte sie sich, das Pfarrersschränkchen im größeren der
beiden Empfangszimmer zu überprüfen. Die eingebaute Vitrine
lag links vom offenen Kamin. Menley öffnete sie, und ein modriger Mief attackierte ihre Nasenlöcher. Ich sollte die Tür offen
lassen, damit es auslüftet, dachte sie. Aber die Rückwand des
Einbauschränkchens wies keinerlei Fugen oder Spuren auf, die
einen Zugang zu einem Vorratsraum dahinter vermuten ließen.
Vielleicht können wir das gründlicher auskundschaften, wenn
uns das Haus einmal gehört, überlegte sie. Ich kann ja schlecht
herumlaufen und Wände einreißen. Sie ging zu ihrem Schreibtisch zurück, war sich aber bewußt, daß sie zunehmend zerstreuter wurde. Sie wollte den Film von Bobby sehen.
Sie wartete bis nach dem Mittagessen, als Amy Hannah für
ihr Mittagsschläfchen nach oben brachte. Dann griff Menley
nach der Videokassette und nahm sie mit ins Bibliothekszimmer. Schon als sie das Tape in den Videorecorder steckte und
auf den Startknopf drückte, spürte sie einen Kloß im Hals.
Sie hatten damals an dem Wochenende einen der Partner von
Adam in East Hampton besucht. Lou Miller besaß eine Videokamera und hatte sie nach dem Brunch am Sonntag mit nach
draußen gebracht. Adam war mit Bobby im Schwimmbecken.
Sie selbst hatte an dem Tisch mit dem Sonnenschirm gesessen
und sich mit Lous Frau Sherry unterhalten.
Lou filmte Adam, wie er Bobby Schwimmunterricht gab.
Bobby sah Adam so ausgesprochen ähnlich, dachte Menley. Sie
hatten soviel Spaß miteinander. Dann hob Adam Bobby auf den
Beckenrand. Sie wußte noch, wie Lou damals die Kamera abstellte und sagte: »Okay, genug mit dem Wasserspektakel. Laßt
mich jetzt mal Bobby mit Menley aufnehmen. Adam, stell ihn
doch raus. Menley, du rufst ihn.«
Als nächstes hörte sie ihre eigene Stimme. »Bobby, komm
mal hierher. Ich will dich.«
Ich will dich, Bobby.
Menley betupfte sich die Augen, während sie zuschaute, wie
ihr Zweijähriger mit ausgestreckten Armen auf sie zugelaufen
kam, und sie ihn rufen hörte: »Mommy, Mommy.« Sie zog frappiert die Luft ein. Es war dieselbe jubelnde Stimme, die sie gehört hatte, als sie letzte Woche dachte, daß Bobby sie rief. Er
hatte so sprühend, so lebendig geklungen. Was ihr jetzt besonders auffiel, war die Art, wie er gerade angefangen hatte,
»Mommy« zu sagen. Sie und Adam hatten sich darüber amüsiert. Adam hatte gesagt: »Klingt eher wie Momme, mit der Betonung auf me.« Ja, »Momme« hatte er gerufen – es klang wie
»Mammi« –, als wollte er sagen: Mom, you come to me! – Mom,
komm du zu mir !
Und ganz genauso hatte er auch neulich nachts nach ihr gerufen, als sie im ganzen Haus nach ihm gesucht hatte. War
das einfach ein intensiver Wachtraum gewesen und gar kein
Flashback? Dr. Kaufman hatte ihr gesagt, daß allmählich
glückliche Erinnerungen die traumatischen ersetzen würden.
Aber das Pfeifen des Zuges war ganz bestimmt ein Flashback
gewesen.
Der Film lief weiter: Bobby, wie er sich ihr in die Arme warf;
die Wendung zur Kamera hin. »Sag uns, wie du heißt.«
Sie begann zu schluchzen, als er stolz erklärte: »Wobert
Adam Nikko.«
Sie würgte vor Tränen, und als das Video zu Ende war, saß
sie einige Minuten lang da und vergrub das Gesicht in den Händen. Doch dann linderte ein tröstlicher Gedanke den Schmerz:
In zwei Jahren würde Hannah auf die gleiche
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