Das Haus auf den Klippen
ist doch klar, daß mich bereits Beamte von der Staatsanwaltschaft, der Anwalt der Familie Carpenter und ein Vertreter der Gesellschaft, die den Smaragdring versichert hat, aufgesucht haben. Mir geht das Verständnis dafür ab, wieviel mehr
ich noch zu den Ermittlungen beitragen kann.«
»Vielleicht haben Sie recht, Sir«, sagte Nat freundlich.
»Aber es besteht immer die Möglichkeit, daß man etwas übersehen hat. Ich kenne natürlich bereits die Bedingungen des
Testaments.«
»Jeden Groschen, den Vivian besaß, ebenso wie ihr Haus, ihr
Boot, ihren Wagen und Schmuck hat ihr Ehemann geerbt.« Frostiges Mißfallen durchdrang Wells’ Stimme.
»Wer war der Begünstigte in ihrem vorherigen Testament?«
»Es gab zuvor kein Testament. Vivian kam vor drei Jahren zu
mir, damals, als sie das Kapital ihres Treuhandfonds erbte, fünf
Millionen Dollar.«
»Weshalb ist sie zu Ihnen gekommen? Ich meine, ihre Familie
hat doch bestimmt schon Rechtsanwälte.«
»Ich hatte einiges für eine Freundin von ihr bearbeitet, die anscheinend recht zufrieden mit mir war. Und Vivian sagte damals, daß sie sich nicht von den Rechtsberatern ihrer Familie
vertreten lassen wollte. Sie holte meinen Rat ein, welche Bank
ich vorschlagen würde, damit sie dort ein Depot anlegt. Sie
wollte den Namen von einem umsichtigen Anlageberater, um
mit ihm ihr beträchtliches Aktienportefeuille zu überprüfen. Sie
ließ sich von mir über ihre potentiellen Erben beraten.«
»Sie wollte ein Testament machen?«
»Nein, sie wollte entschieden keines machen. Sie wollte wissen, wer im Falle ihres Todes erben würde. Ich sagte ihr, es
würde ihre Familie sein.«
»Und damit war sie zufrieden?« erkundigte sich Nat.
»Sie sagte mir, daß sie es ihnen nicht gern zum Geschenk machen würde, weil sie es nicht verdienten, aber weil es niemand
auf der ganzen Welt gebe, der sie im geringsten interessiere,
könnten sie es auch genausogut de facto haben. Selbstverständlich hat sich das alles geändert, als sie Covey kennenlernte.«
»Haben Sie ihr ans Herz gelegt, einen Ehevertrag aufzusetzen?«
»Es war zu spät. Sie war bereits verheiratet. Ich habe ihr allerdings dringend geraten, ein detaillierteres Testament zu unterzeichnen. Ich wies sie darauf hin, daß so, wie das Testament
angelegt war, ihr Mann alles erben würde, und daß sie für noch
ungeborene Kinder Vorsorge treffen sollte. Sie erklärte, diese
Angelegenheit werde sie in Angriff nehmen, wenn sie schwanger würde. Ich habe ihr auch dringend geraten, die Tatsache zu
bedenken, daß es, sollte die Ehe doch scheitern, Schritte gäbe,
die zum Schutz ihres Vermögens erwägenswert seien.«
Nat sah sich im Zimmer um. Getäfelte Wände mit einer feinen
Patina; juristische Fachliteratur, sauber angeordnet in Regalen,
die hinter dem Mahagonischreibtisch vom Boden bis zur Decke
reichten. Geschmackvoll gerahmte englische Jagdszenen; ein
orientalischer Teppich. Der Gesamteindruck sprach für guten
Geschmack und bildete ein angemessenes Ambiente für Leonard
Wells. Nat fand, daß er den Mann mochte.
»Mr. Wells, hat Vivian sich oft von Ihnen beraten lassen?«
»Nein. Ich gehe allerdings davon aus, daß sie meinen Rat befolgte und nur ein relativ bescheidenes Girokonto bei der hiesigen Bank unterhielt. Sie war mit dem Finanzberater zufrieden,
den ich ihr empfohlen habe, und traf sich vierteljährlich mit ihm
in Boston. Den Schlüssel zu ihrem Safe hinterlegte sie bei mir
hier im Büro. Wenn sie gelegentlich kam, um ihn abzuholen,
haben wir uns ein wenig unterhalten.«
»Weshalb hat sie ihren Schlüssel zum Safe hier gelassen?«
fragte Nat.
»Vivian war generell etwas achtlos. Letztes Jahr verlor sie
den Schlüssel zweimal und mußte eine hohe Gebühr für einen
neuen zahlen. Da die Bank gleich nebenan ist, beschloß sie, ihn
bei uns in Verwahrung zu geben. Als sie noch am Leben war,
hatte nur sie allein Zugang. Nach ihrem Tod wurde natürlich der
Inhalt aus dem Safe genommen und aufgelistet, wie Sie ja sicher
schon wissen.«
»Hat Vivian Sie drei Tage vor ihrem Tod angerufen?«
»Ja. Der Anruf kam, als ich im Urlaub war.«
»Wissen Sie, weshalb sie mit Ihnen sprechen wollte?«
»Nein, leider nicht. Sie wollte nicht ihren Safeschlüssel abholen und auch partout nicht mit meinem Kollegen reden. Sie hinterließ die Nachricht, ich solle sie sofort nach meiner Rückkehr
anrufen. Unglücklicherweise war sie dann aber schon zwei Tage
vermißt.«
»Wie verhielt sie sich, als sie mit Ihrer
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