Das Haus auf den Klippen
ausgelassen hat, daß wir sie
Menley Hannah taufen wollten?« Sie äffte den schrillen Tonfall
ihrer Schwägerin nach: »Ich fände es wirklich nett, die Familientradition aufrechtzuerhalten und die erste Tochter Menley zu
nennen, aber bitte tauft sie nicht Hannah. Das ist so altmodisch.
Warum nennt ihr sie denn nicht Menley Kimberley, und dann
kann sie Kim heißen? Wäre das nicht goldig?«
Ihre Stimme kehrte zu ihrer normalen Höhe zurück. »Also
ehrlich!«
»Nimm’s mir bloß nicht übel, Schatz«, gluckste Adam. »Aber
ich hoffe, daß Phyllis deine Mutter nicht völlig fertigmacht.«
Menleys Mutter war derzeit mit ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter in Irland unterwegs.
»Phyl hat es sich in den Kopf gesetzt, beide Seiten des Familienstammbaums zu erforschen. Du kannst drauf wetten, wenn
sie unter ihren Vorfahren auf Pferdediebe stößt, dann erfahren
wir bestimmt nie was davon.«
Vom Rücksitz her hörten sie, wie sich etwas regte. Menley
warf einen Blick über die Schulter. »Nun, es sieht ganz so aus,
als ob sich Ihre Ladyschaft bald zu uns gesellt, und sie wird garantiert ganz schön hungrig sein.« Sie beugte sich nach hinten
und steckte Hannah den Schnuller in den Mund. »Bete mal lieber, daß sie brav bleibt, bis wir beim Haus ankommen.«
Sie verstaute den leeren Kaffeebehälter in einer Tüte und griff
nach der Zeitung. »Schau mal, Adam. Da ist ein Bild von dem
Ehepaar, von dem du mir erzählt hast. Sie ist die Frau, die beim
Tiefseetauchen mit ihrem Mann ertrunken ist. Die Beerdigung
ist heute. Der arme Kerl. Was für ein tragischer Unfall.«
Tragischer Unfall. Wie oft schon hatte sie diese Worte gehört.
Sie lösten solch schreckliche Erinnerungen aus. Sie überfluteten
ihr Bewußtsein. Am Steuer auf jener Landstraße unterwegs, die
ihr nicht vertraut war, mit Bobby auf dem Rücksitz. Ein wunderbarer sonniger Tag. Und sie schmettert für Bobby ein Lied heraus. Bobby singt mit. Der unbewachte Bahnübergang. Und dann
die Vibrationen. Ein Blick aus dem Fenster. Das schreckverzerrte Gesicht des Lokführers. Das Aufheulen und Quietschen von
Metall, als der bremsende Zug sich auf sie zuwälzt. Bobbys gellendes: »Mommy, Mommy.« Das Gaspedal durchgetreten. Das
Krachen, als der Zug die Hintertür bei Bobby erfaßt. Der Zug,
wie er den Wagen mit sich schleift. Bobbys Wimmern: »Mommy,
Mommy.« Dann seine Augen, wie sie sich schließen. Die Erkenntnis, daß er tot ist. Sie wiegt ihn in den Armen. Und schreit
wieder und wieder: »Bobby, ich will Bobby. Bobbbbbyyyyyyy.« Wieder einmal spürte Menley, wie ihr am ganzen Körper der
Schweiß ausbrach. Sie begann zu schlottern. Sie preßte die Hände gegen die Beine, um die Beherrschung über ihre krampfhaft
zitternden Glieder wiederzugewinnen.
Adam warf ihr einen Blick zu. »O mein Gott.« Sie näherten
sich gerade einem Parkplatz. »Ist schon gut, Liebste. Ist schon
gut.«
Auf dem Rücksitz fing Hannah zu jammern an.
Bobbys jämmerliches »Mommy, Mommy«.
Hannahs Jammern…
»Bring sie zur Ruhe!« schrie Menley. »Sie soll aufhören!«
7
E
s war Viertel vor zwölf, stellte Elaine mit einem Blick auf
die Wagenuhr fest. Adam und Menley müßten jeden Moment eintreffen, und sie wollte noch das Haus vor ihrer Ankunft
überprüfen, um sicherzugehen, daß alles in Ordnung war. Eine
der Dienstleistungen, die sie ihren Kunden anbot, bestand in der
gründlichen Reinigung des Mietobjekts vor und nach dem jeweiligen Aufenthalt dort. Sie drückte mit dem Fuß energischer
auf das Gaspedal. Sie war spät dran, weil sie dem Trauergottesdienst für Vivian Carpenter Covey beigewohnt hatte.
Auf eine Eingebung hin hielt sie beim Supermarkt an.
Ich hol eben noch etwas von dem geräucherten Lachs, den
Adam so gern hat, dachte sie. Er würde gut zu der Flasche gekühlten Champagners passen, den sie stets für hochkarätige
Kunden bereitstellte. Dann konnte sie einfach eine Willkommensnotiz kritzeln und wieder aus dem Haus sein, bevor sie
ankamen.
Der verhangene Morgen hatte sich zu einem prächtigen Sonnentag von etwa vierundzwanzig Grad und funkelnder Klarheit
entwickelt. Elaine langte nach oben und machte das Sonnendach
auf, während ihr durch den Kopf ging, was sie dem Fernsehreporter berichtet hatte. Als die Leichenprozession sich anschickte, die Kirche zu verlassen, hatte sie ihn bemerkt, wie er nach
dem Zufallsprinzip Leute anhielt und um Äußerungen bat. Sie
war absichtlich zu ihm hinübergegangen. »Darf ich etwas sagen?«
Sie hatte geraden Blicks
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