Das Haus der Donna: Roman (German Edition)
Stil stammt aus der Schule Michelangelos.«
»Die Skulptur ist ein zu frühes Werk, um aus seiner Schule zu stammen. Er war damals kaum zwanzig. Und nur ein Genie kann ein Genie nachahmen.«
»Meines Wissens gibt es keine Dokumentation, die die Bronze als ein Werk dieses Künstlers ausweist.«
»Dann muß diese Dokumentation eben noch gefunden werden, oder es hat sie nie gegeben. Die Dokumentationen vieler dieser Stücke sind verlorengegangen. Warum sollten wir nicht wieder einmal ein Kunstwerk ohne Dokumentation haben? Die Skizze für das Fresco von der Schlacht von Cascina – verlorengegangen. Seine Skulptur von Julius dem Zweiten – zerstört und vernichtet. Viele seiner Zeichnungen von ihm selbst kurz vor seinem Tod verbrannt.«
»Immerhin wissen wir, daß es sie gab.«
»Die Dunkle Lady gibt es auch. Das Alter ist richtig, der Stil ist richtig, vor allem wenn man bedenkt, daß es eine frühe Arbeit von ihm war. Er muß ungefähr achtzehn gewesen sein, als sie entstanden ist. Er hatte bereits die Madonna mit dem Kind an der Treppe und die Kentaurenschlacht geschaffen. Er hatte sein Genie bereits unter Beweis gestellt.«
Da sie sich selbst als geduldige Frau bezeichnete, nickte Elizabeth nur unmerklich mit dem Kopf. »Es gibt keinen Zweifel, daß die Bronze eine hervorragende Arbeit und eindeutig in seinem Stil gehalten ist. Das ist jedoch noch kein Beweis, daß sie auch sein Werk ist.«
»Er lebte im Palast der Medici, wurde dort wie Lorenzos Sohn behandelt. Es gibt Beweise, daß sie einander kannten. Sie stand oft Modell, und es wäre sehr ungewöhnlich, wenn sie gerade ihm nicht Modell gestanden hätte. Du wußtest, daß es diese Möglichkeit gab, als du nach mir geschickt hast.«
»Spekulationen und Fakten sind unterschiedliche Dinge, Miranda.« Elizabeth faltete die Hände. »Wie du am ersten Tag bereits sagtest, Spekulationen sind nicht dein Job.«
»Ich nenne dir gerade Fakten. Die Bronzeformel ist korrekt, absolut korrekt, und das Röntgen hat ergeben, daß das verwendete Werkzeug für die Zeit authentisch ist. Der Tonkern und Materialsplitter sind datiert worden. Die Tests zeigen nach innen zunehmende Korrosion. Die Patina ist korrekt. Die
Skulptur ist spätes fünfzehntes Jahrhundert, höchstwahrscheinlich aus der letzten Dekade.«
Miranda hob die Hand, bevor ihre Mutter etwas entgegnen konnte. »Als Expertin auf diesem Gebiet bin ich nach sorgfältiger und objektiver Untersuchung der Bronze zu dem Schluß gelangt, daß die Skulptur von Michelangelo stammt. Es fehlt nur seine Signatur. Aber er hat normalerweise keins seiner Werke signiert, mit Ausnahme der Pietà in Rom.«
»Ich zweifle die Ergebnisse deiner Tests nicht an.« Elizabeth neigte den Kopf. »Deinen Schlußfolgerungen jedoch stehe ich skeptisch gegenüber. Wir können es uns nicht leisten, daß dein Enthusiasmus den Ausschlag gibt. Du wirst im Moment noch nichts davon gegenüber den anderen Mitarbeitern erwähnen. Und ich muß darauf bestehen, daß auch nichts außerhalb des Labors bekannt wird. Wenn irgendwelche Gerüchte zur Presse durchsickern, hätte das katastrophale Folgen.«
»Ich werde wohl kaum die Zeitungen anrufen und verkünden, daß ich einen verlorengegangenen Michelangelo entdeckt habe. Aber es ist so.« Miranda stützte sich mit den Händen auf die Schreibtischplatte und beugte sich vor. »Ich weiß es. Und früher oder später wirst du es auch zugeben müssen.«
»Nichts wäre mir lieber, das kann ich dir versichern. Aber bis dahin müssen wir Stillschweigen bewahren.«
»Mir geht es nicht um den Ruhm.« Obwohl Miranda ihn auf der Zungenspitze schmeckte. Sie konnte ihn geradezu fühlen, er prickelte in ihren Fingerspitzen.
»Uns allen geht es um den Ruhm«, verbesserte Elizabeth sie lächelnd. »Warum sollten wir das nicht zugeben? Wenn deine Theorie sich als richtig erweist, wirst du reichlich Ruhm ernten. Wenn nicht, schadest du deinem Ruf erheblich, wenn du deine Erkenntnisse zu früh hinausposaunst. Und auch meinem und dem dieses Instituts. Das, Miranda, werde ich nicht dulden. Fahr bitte mit der Dokumentensuche fort.«
»Das habe ich vor.« Miranda drehte sich auf dem Absatz um und marschierte hinaus. Sie würde einen ganzen Stapel von Büchern zusammensuchen, sie mit ins Hotel nehmen, und, bei Gott, sie würde das fehlende Verbindungsglied finden.
Als um drei Uhr früh das Telefon klingelte, saß Miranda, umgeben von Büchern und Papieren, auf dem Bett. Der schrille Doppelton riß sie aus einem
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