Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
Renovierung anzufangen. Anfang April widerhallte das Gebäude bereits von Hammerschlägen und Bohrgeräuschen, und dicke Wolken weißen Schuttstaubs hüllten seine drei Etagen ein.
Bis Anfang Mai sah ich die Villa nicht wieder. Alec hatte mich zwar wiederholt eingeladen, die Baustelle zu besichtigen, aber ich hasse Handwerker und den Lärm und das Chaos, das sie verursachen. Er selber war oft dort, um die Arbeiter zu beaufsichtigen, die den ersten Stock auf Hochglanz brachten und im Erdgeschoss das rechte Hinterzimmer zu einem Bad umbauten. Er erzählte mir, dass die vier Mieter sich nicht sonderlich dankbar für sein Entgegenkommen zeigten. Der Einzige, der ihm lebhafte Zuneigung bewies, war Terry Hirschs schwarzer Kater Tiberius. Der folgte ihm auf Schritt und Tritt durchs Haus.
Eines Abends, als wir in meiner Wohnung beisammensaßen, erzählte er mir: „Das sind merkwürdige Leute, Charmion. Ich habe fast das Gefühl, dass in diesem Haus eine Verschwörung herrscht. Sie scheinen sehr eng miteinander verbunden zu sein, obwohl sie so ganz verschieden sind. Sie begegnen mir nicht gerade feindselig, aber ich habe ständig den Eindruck, dass sie mich beobachten – mich einzuschätzen versuchen.“
„Vielleicht sind sie einfach nur genervt, weil die Villa voll von Handwerkern ist und überall herumgeklopft und gestemmt wird.“ Ich hatte mir vorgenommen, es Alec gleich zu tun und alles möglichst rational zu betrachten, und mit jedem Tag, den ich dem geheimnisvollen Haus fernblieb, fiel mir das leichter.
„Ja, das könnte sein“, stimmte er mir zu. „Obwohl Junkarts der Einzige ist, der den ganzen Tag zu Hause ist. Die beiden Punks und das Fotomodell schlafen lang und verschwinden dann bis spätnachts in der Stadt. Sie kommen oft erst im Morgengrauen nach Hause.“
„Hast du dieses geheimnisumwitterte Fotomodell inzwischen schon einmal gesehen?“ Ich musste mich zwingen, um die Frage möglichst nonchalant zu stellen. Keine Frau, vor allem keine reife Frau, hat es gern, wenn in ihrem Heim ein Fotomodell wohnt.
Alec nickte. „Ja. Sie sieht nett aus, aber sie ist nicht gerade sehr helle. Wahrscheinlich wird sie eher Prostituierte als Fotomodell werden.“
„Wie sieht sie aus?“
Er zuckte die Achseln. „Jung. Blond. Wackelpopo.“
Anscheinend war er von Corinna Colette, wie sie hieß – oder sich nannte – nicht übermäßig beeindruckt gewesen, und ich atmete auf. Dabei hätte ich es mir eigentlich im Vorhinein denken können, dass er so reagieren würde, denn Dr. Marhold war ein erotischer Feinschmecker, und kellnernde Fotomodelle waren, von diesem gastronomischen Blickwinkel aus betrachtet, fettige Pizzaschnitten. Je älter mein Freund wurde, desto deutlicher erwies er sich als Libertin, als ein Liebhaber sonderbarer, bizarrer und außergewöhnlich pikanter Genüsse. Das Absonderliche, ja das Unheimliche und Makabre zogen ihn ebenso an wie mich, und beide wussten wir mit dem alltagsüblichen Vanille-Sex nichts mehr anzufangen. Wobei ich allerdings hinzufügen muss, dass er und ich zwar sexuelle Libertins waren, aber weder Wüstlinge noch Soziopathen; selbst bei unseren ausgefallensten Eskapaden respektierten wir die Freiheit und Würde anderer Menschen – was man von klassischen Wüstlingen wie dem Marquis des Sade, Erszebeth Bathory oder Gilles de Rais wohl kaum behaupten kann.
Alec brauchte nicht zu wissen, dass ich eifersüchtig war, deshalb lenkte ich rasch auf ein anderes, weniger verfängliches Thema ab: „Du warst jetzt so oft in dem Haus. Hast du irgendetwas bemerkt? Ich meine – ist irgendetwas Merkwürdiges passiert?“
Er schüttelte energisch den Kopf. „Charmion, ich glaube, du hast dich da in etwas hineingesteigert. In dem Haus gibt es keine ‚Phänomene‘. Es ist ein ganz normales Haus – davon abgesehen, dass es das hundertprozentig Richtige für uns beide ist. Du wirst sehen, sobald wir das Souterrain erst renoviert haben, wirst du dort keine Spur von Gespenstern mehr finden.“
Es hörte sich etwas väterlich an – Alec neigte manchmal dazu, sich als mein Lehrer und Beschützer zu fühlen, nur weil ich acht Jahre jünger als er und eine Frau war. Daher fragte ich herausfordernd: „Hast du das als Strafverteidiger auch so gemacht, dass du ein Dutzend Zeugen einfach ignoriert hast?“
Wie ich erwartet hatte, war ihm die Frage unangenehm. Er antwortete gereizt: „Ich habe als Anwalt vor allem gelernt, dass oft aus dem Nichts Gerüchte entstehen und von aller Welt
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