Das Haus der glücklichen Alten
Schande, schämte sich vor sich selbst, ganz allein, mitten in der Nacht. Das Licht der kleinen Lampe flackerte, und er schämte sich und wollte sich zu einer Entscheidung durchringen. Jedenfalls gehen die Fenster in unseren Schlafzimmern nicht auf. Wie Schaufenster sind sie zwar zum Betrachten da, lassen sich aber nicht öffnen. Senhor Pereira hatte den schmutzigen Pyjama in die schmutzigen Betttücher gerollt, und mit schmutzigen Händen lief er über den Korridor zum Treppenhaus. Das große Fenster dort ließ sich öffnen, und als er es aufgemacht hatte, ließ er das Bündel an der Wand des Heims hinab vor die Eingangstür fallen. Senhor Pereira schloss das Fenster wieder und rannte in sein Zimmer zurück, ohne Pyjama und ohne Bettwäsche und immer noch nicht richtig sauber. Der strenge Geruch hielt sich, und er war schuld daran, dass wenig später die Krankenschwester von der Nachtschicht kam. Sie schimpfte auf Gott und die Welt und nannte ihn ein Dreckschwein, und zwar nicht deshalb, weil er ins Bett gemacht hatte, sondern weil er alles auf die Straße, noch dazu vor die Eingangstür des Heims geworfen hatte, als wäre dieses Heim ein Haus von Leuten, die nicht wissen, wohin man die Sachen räumen muss. Die Nachtschwester erklärte sogar, vielleicht sei es ja besser, er ziehe in ein Zimmer im linken Flügel. Sie sagte ihm nicht direkt, dass er gaga und wie die anderen dort war, sondern es sei nur, weil die Nachtwache im linken Flügel genauer kontrolliere, weil doch die Alten jeden Moment ersticken und den Tropf abreißen könnten, und wenn ein Alter so spät noch Dummheiten machen wolle, sei es praktischer, wenn er im linken Flügel der glücklichen Alten überwacht wurde. Als bliebe, wo man entlangkommt, etwas in der Luft hängen, so dass man weder sich selbst noch eine Dummheit verstecken konnte.
Anísio ließ wieder irgendetwas Sympathisches hören, und ich antwortete, die arme Dona Marta… und ich fand, dass so etwas aus meinem Mund sonderbar klang. Alle stimmten zu und meinten, es sei besser, nicht mehr an die Sache mit Senhor Pereira zu denken. Dann kam Américo auf den Hof zurück und sagte, er wolle mit mir reden. Wir gingen beide ins Haus und in mein Zimmer. Er reichte mir ein kleines Bündel Briefe. Meine Briefe. Er reichte sie mir und sagte, er halte es für gut, wenn ich sie aufbewahrte. Ich zögerte. Wäre es nicht Irrsinn, diese Endlosliebeserklärung aufzuheben, fragte ich mich. Sicher wäre es morbider Irrsinn, diese Endlosliebeserklärung aufzuheben. Um mich selber zu kränken und weil ich eine Kränkung verdiente, nahm ich die zusammengeschnürten Briefe und versteckte sie im Nachttischchen. Ich versteckte sie da drinnen, ohne dass ich sie irgendwann wieder hätte herausholen wollen. Es war nur gut, sie zu vergessen. Damit ich vergaß, dass für mich die Liebe, selbst die erfundene, immer noch ihren Anfang im Schrecklichen hatte, das es gelassen verschmäht, uns zu zerstören.
In dieser Nacht prallten die Geier gegen die Fensterscheiben. Ich wollte glauben, dass das Glas dick genug sei, damit es nicht zersplittern und ihnen ein Durchkommen erlauben würde. Sie kamen wegen der Briefe. Sie wollten die Briefe. Ich träumte, sie hackten auf sie ein und zerrissen sie. Der Nachttisch hatte einen Schlüssel und ließ sich abschließen. So stand er zugesperrt da, mit mir als ängstlichem Wächter. Nicht dass ich absichtlich bewahren wollte, was solche Papiere sagten, doch im Traum waren die Papiere der Weg zu Dona Martas Körper, und ich beschützte sie. Ich beschützte sie vor dem Tod, der sie heimsuchen wollte. Ich sah, wie die Vögel das Gesicht der alten Frau so lange zerhacken konnten, bis sie nicht mehr lebte, und ich wollte sie weiteratmen lassen, ich wollte, dass sie atmete. Ich sah, wie sie der weißen Wand zugewandt lag, ihr unsteter Blick war dort im Dunkel verloren, ihr Körper lag ruhig und verdorrt wie ein alter toter Baumstamm, und fast legte ich die Hände darauf, als wollte ich sie zudecken, um sie vor der Sonne zu schützen, als wollte ich meine eigenen Hände den Mörderschnäbeln darbieten, als tötete ich mich selbst, denn mir würde der Tod schließlich nichts ausmachen, dachte ich. Dona Marta überlebte in meinen Träumen. Sie überlebte stets. Stolz, geboren zu sein, rekelte sie sich am Morgen und kam lustiger denn je zum Frühstück hinunter, und sie behandelte mich geringschätzig, wie es gut war, und darum schien es mir auch gut, dass sie es tat. Ich blieb stumm,
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