Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
Hausdiener, damit er ihr Mittagessen hereinbrachte, und bat Olivia, ihr die Kissen aufzuschütteln, die Vorhänge zu öffnen und ihr eine Zeitschrift zu reichen. Während der chinesische Junge, den ich draußen stehen gesehen hatte, mit dem Tablett kam und es an Olivia weitergab, die es dann auf Fionas Schoß stellte, blieb ich regungslos stehen. Worauf wartete ich noch? Ich wußte es nicht.
Fiona Barclay begann zu essen. Sie bemerkte, es fehle der Suppe an Salz, und fügte welches hinzu.
»Mrs. Barclay«, sagte ich, »als Sie vorhin herunterkamen, blieben Sie stehen und starrten mich an. Mein Anblick hat Sie erschreckt. Warum? Was haben Sie gesehen? Die Ähnlichkeit mit Ihrem verstorbenen Gatten?«
Ohne die Augen von ihrer Suppe zu heben, erwiderte sie: »Als mir das Mädchen eine Besucherin meldete, rechnete ich nicht mit einer Chinesin. Ich danke Ihnen, daß Sie mir meinen Ring zurückgegeben haben. Sie können jetzt gehen.«
Ich wartete weiter, bis schließlich Olivia zu mir kam und mit freundlicher Stimme sagte: »Bitte, kommen Sie. Ich bringe Sie hinaus.«
Aber ich hatte noch meine Würde. Ich konnte den Weg allein finden. Ich sah auf Fiona und verabschiedete mich. »Es war eine Ehre, Sie kennengelernt zu haben, Erste Gemahlin.«
Halbblind vor Schmerz und Enttäuschung stolperte ich nach unten. An der Haustür war mir, als hörte ich jemanden leise nach mir rufen. Ich sah den chinesischen Jungen hinter einem Vorhang hervortreten. Er winkte mir, und ich ging zu ihm. »Ist okay«, sagte er auf englisch und grinste. »Alles okay.«
»Was ist okay?«
»Dame nicht nett zu Ihnen. Aber okay.« Sein Grinsen wurde breiter. »Ich pisse in ihre Suppe.«
Als ich in meine Wohnung zurückkam, fand ich dort Mr. Lee, der mich geduldig erwartet hatte. »Ich habe etwas für Sie, Harmonie«, sagte er und überreichte mir schüchtern ein kleines Blatt Papier. Es war das köstlichste Miniatur-Tuschbild, das ich je gesehen hatte: eine silberne Trauerweide, die sich in einem blauen See spiegelte. Geschickt in die Blätter und Zweige verflochten waren chinesische Schriftzeichen und englische Buchstaben mit dem Text
»Chinesische Heilmittel von Vollkommener Harmonie.«
»Ich habe darüber nachgedacht«, erklärte Mr. Lee, »was für ein Symbol Sie benutzen könnten. Der Rote Drache ist rot und aggressiv, zuviel Hitze, zuviel Yang. Ihre Heilmittel sind sanfter, mehr Yin. Darum ist mir dieses Bild eingefallen. Wir können es auf allen Ihren Erzeugnissen anbringen.«
»Können Sie es vervielfältigen, Mr. Lee?« fragte ich. Obwohl wir uns seit zwei Jahren kannten, nannte ich ihn noch immer nicht beim Vornamen.
»Ich kann es einem Mann bringen, der so etwas macht. Und ich kann andere Bilder malen – Schildchen für Ihren Tee und Ihre Tabletten.« Ich merkte, daß wir plötzlich die gleiche Vision hatten: meine ganzen Heilmittel in den Regalen, alle mit diesen schönen, neuen, blausilbernen Etiketten, an denen die Leute sie sofort erkannten.
Lächelnd meinte er: »Jetzt haben Sie einen Namen.« Und als er meine Tränen sah, nahm er an, es seien Freudentränen.
30
23 Uhr – Palm Springs, Kalifornien
Es war eine schlechte Nachricht, und Jonathan mußte sich etwas einfallen lassen, um sie Charlotte vorsichtig beizubringen.
Durch die offene Tür zum Museum sah er sie vor einer Vitrine stehen, die mit Schachteln, Flaschen und Krügen in blausilberner Verpackung gefüllt war. Das Schild auf dem Glas lautete: »Harmony-Produkte, um 1927«.
Nachdem sie gelesen hatte, was Knight über ihre Verbindung mit dem zweiten Opfer schrieb, war sie wieder zurück ins Museum gegangen und hatte dort fieberhaft nach weiteren Hinweisen auf die Person gesucht, die es so grausam auf sie abgesehen hatte.
»Ich schwöre dir, Jonathan«, hatte sie erklärt, »daß an dieser Anklage wegen Ehebruchs kein wahres Wort ist. Dr. Laura Phillips’ Ehe zerbrach während der Chalk-Hill-Geschichte. Weil sie so fest davon überzeugt war, ich hätte mir ausgerechnet ihr Laboratorium für meine kriminellen Zwecke ausgesucht – die sie sich alle nur einbildete –, kam sie auf die verrückte Idee, daß ich außerdem noch eine Affäre mit ihrem Mann hätte. Der Mann und ich bestritten das gleichermaßen, und Dr. Phillips verzichtete schließlich auf einen Prozeß. Daß ich, als ich von dem zweiten Opfer las, den Zusammenhang nicht hergestellt habe, liegt daran, daß die Phillips’ sich inzwischen scheiden ließen und Laura wieder heiratete. Ich
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