Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
Charlotte zugesehen hatte, wie man den Sarg in die Erde senkte, hatte sie nur noch daran denken können, daß sie nun ihre ganze Familie verloren hatte. Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, die Ursache dieses Verlustes in Frage zu stellen.
Aber jetzt tat sie es.
»Sie nehmen unser Computersystem mit, Liebling«, sagte Margo zu Desmond und streckte die Hand aus, um ihm eine Locke aus der Stirn zu streichen. Aber Desmond wich zurück.
Charlotte dachte: Auch zu seiner Mutter ist er anders geworden.
Als Kind hatte Charlotte die beiden nur selten getrennt gesehen. Sie schienen immer zusammen zu sein, eine Gesellschaft zur gegenseitigen Vergötterung – Desmond prahlte mit seiner Mutter, und Margo lobte ihren Sohn über alles. Jetzt erkannte Charlotte, daß in Desmonds merkwürdiger neuer Einstellung zu seiner Mutter fast so etwas wie Verachtung lag.
Endlich tauchte O’Banyon, der Techniker, auf. Er warf seinen nassen Regenmantel ab und machte eine Bemerkung über das Unwetter. Dann ging er sofort in den Computerraum und verschaffte sich einen Überblick über die Einrichtung.
Charlotte warf einen Blick auf das Großraumbüro mit den Schreibtischen der Sekretärinnen. Konnte sie von einem der Telefone dort im Museum anrufen und Jonathan warnen? Würde er abnehmen?
»Mrs. Lee?«
Sie fuhr erschrocken herum und begegnete Knights fragendem Blick. »Sie sagten, Sie wollten dabeisein, wenn abgeschaltet wird. Das hier ist O’Banyon, unser technischer Berater. Er kennt sich mit Computern aus«, fügte er grinsend hinzu.
»Tja … also, bevor ich abschalte«, erklärte O’Banyon umständlich und sah sich dabei um, »muß ich sicherstellen, daß niemand im System ist. Sonst verliert der Benutzer alle Daten, an denen er gerade arbeitet.«
»Aber wir müssen auch verhindern, daß jemand Beweismaterial fälscht, und darum jeden unterbrechen, Mr. O’Banyon«, erklärte Knight unmißverständlich.
»Stimmt … stimmt …« Der Techniker nickte und prüfte die Verbindungen zwischen Monitor, Tastatur und Hauptschalttafel. »Wir haben also drei Server«, murmelte er. »Okay, das da ist die Servereinheit … sehen wir mal nach, mit welchem Server der Monitor gerade verbunden ist …«
Charlotte sah auf die Uhr. Fünfunddreißig Minuten. War Jonathan fertig? Hatte er sie schon zu erreichen versucht?
O’Banyon, der sich mittlerweile mit der Anlage vertraut gemacht hatte, setzte sich an die Tastatur und drückte die Leertaste. Der Bildschirmschoner verschwand und machte dem Befehl zur Eingabe des Benutzernamens Platz. O’Banyon tippte den Namen des Computerbeauftragten ein, den Knight ihm gegeben hatte, und gab dann das Paßwort ein, das er ebenfalls von Knight erhielt. Anstatt jedoch nun mit dem System verbunden zu sein, erhielt er eine neue Nachricht auf dem Bildschirm.
»Logg-in unkorrekt. Bitte Paßwort eingeben.«
Stirnrunzelnd fuhr sich O’Banyon über seinen Stoppelhaarschnitt und wiederholte die Angaben.
»Logg-in unkorrekt. Bitte Paßwort eingeben.«
Gerade wollte er es nochmals versuchen, als eine andere Botschaft zu blinken begann.
»Warnung! Nach drei unkorrekten Logg-ins schaltet das System ab und löscht sämtliche Dateien.«
»Was zum Teufel soll das?« bellte Knight.
»Verdammt gutes Sicherungsprogramm«, sagte O’Banyon beeindruckt.
»Aber was bedeutet es?«
»Es ist eine zusätzliche Sicherung gegen Eindringlinge, die alle möglichen Paßworte ausprobieren, bis sie vielleicht auf das richtige stoßen. Eine sogenannte Giftpille.«
»Und werden wirklich alle Dateien gelöscht?«
O’Banyon zuckte die Achseln. »Sicher, warum nicht? Die Firma hat garantiert Bänder mit Sicherungskopien.« Er sah zu Charlotte auf, und sein Lächeln war voller Bewunderung. »Mächtig schlau von Ihnen, Ma’am, so etwas zu installieren. Sicherungsprogramme wie dieses kenne ich nur aus militärischen Geheimeinrichtungen. Die Rezepturen für Ihre Arzneien klaut oder fälscht Ihnen keiner, darauf wette ich.«
Knight wandte sich an einen anderen Mann. »Holen Sie diesen Computerfritzen ans Telefon«, knurrte er. »Die Nummer liegt neben meinem Laptop. Fragen Sie ihn nochmals nach seinem Benutzernamen und dem Paßwort. Vielleicht hat er sich beim ersten Mal versprochen. Und wenn das nicht funktioniert, dann schalten wir das ganze verdammte Ding eben ab, ziehen es raus und nehmen es mit.«
»Das ist vielleicht keine so gute Idee, Sir«, gab O’Banyon zu bedenken.
»Warum nicht?« fauchte Knight.
Der Techniker
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