Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
eingejagt.«
Also schickte ich die Mädchen wieder an die Arbeit. Als ich mich umdrehte, sah ich einen Mann in Uniform an der Tür stehen. Einen Moment lang hielt ich ihn für einen Polizisten, bis ich seine dunkle Haut bemerkte. Afrikaner tragen die Polizeiuniform von San Francisco genausowenig wie Chinesen.
Er fragte mich, ob ich Vollkommene Harmonie heiße, und teilte mir dann mit, daß Mrs. Barclay mich sprechen wolle.
Ich hatte etwas Ähnliches bereits erwartet. Gideon hatte mir versprochen, seiner Mutter noch vor seiner Abreise von unserer Verlobung zu erzählen. Ich hatte mir schon fieberhaft überlegt, wie sie darauf reagieren würde. Nun würde ich es erfahren.
Ich hatte mit vielem gerechnet – von Geld bis zu Drohungen. Was ich mir nicht hatte vorstellen können, war eine lächelnde und wohlwollende Fiona Barclay, die im Fond einer langen, glänzenden Limousine saß – der Uniformierte war ihr Chauffeur – und mich einlud, in ihrem Club mit ihr zu Mittag zu essen. »Wir müssen die Vergangenheit vergessen«, erklärte sie mit Wärme in der Stimme. »Ich respektiere die Wünsche meines Sohnes. Sie werden zur Familie gehören. Es ist Zeit, daß wir einander kennenlernen.«
Wir verabredeten einen Tag in der nächsten Woche, an dem sie mich mit ihrem langen, glänzenden Wagen abholen wollte.
Ich machte mir große Sorgen wegen meiner Kleidung und suchte verzweifelt nach dem schönsten Cheongsam.
Aber als ich mir vor dem hohen Spiegel jedes einzelne Kleid vorhielt, begriff ich, daß ich damit einen schrecklichen Fehler begehen würde. Mrs. Barclay hatte bestimmt keine Lust, mit ihrer chinesischen Schwiegertochter essen zu gehen! Für diesen Anlaß mußte ich Amerikanerin sein.
Ich verließ Chinatown und fuhr zu einem Schönheitssalon in der Clay Street. Dort ließ ich mir das taillenlange Haar abschneiden. Was dann noch übrig war, wurde zu Locken gedreht, damit ich aussah wie Clara Bow auf dem Titelblatt von Photoplay. Ich kaufte die neueste Kosmetik – Elizabeth-Arden-Lippenstift und -Nagellack in Ochsenblutrot. Und schließlich erstand ich das modernste Kleid: saphirblauer Chiffon mit tiefblauen, losen Stoffbahnen, aufwendig verziert mit Perlen, Quasten und Schleifen. Die Verkäuferin erzählte mir, daß man dieses Modell in Paris als »le cocktail dress« bezeichnete.
Als Mrs. Barclays lange Limousine vorfuhr, standen alle Nachbarinnen auf dem Bürgersteig, bewunderten mich, machten ihre Bemerkungen und winkten mir zum Abschied zu. Mrs. Barclay lächelte und sagte, wie entzückend ich aussähe und daß sie sich darauf freute, mich ihren Freundinnen vorzustellen.
Der Club lag in der Nähe des Palastes der Schönen Künste und war, wie mir Mrs. Barclay erzählte, früher ein Privathaus gewesen. Jetzt hatte man einen Geselligkeitsclub für Damen daraus gemacht, wo man sich traf, um Tennis zu spielen und Wohltätigkeitsveranstaltungen abzuhalten. Ich war so aufgeregt, und mein Herz pochte so sehr in meinen Ohren, daß ich kein Wort von dem verstand, was sie sagte. Mit großen Augen sah ich zu, wie unser Wagen durch ein prachtvolles Tor aus Schmiedeeisen fuhr. Ein Mann in Uniform öffnete den Schlag und begleitete uns die Stufen zu einem imposanten Eingang hinauf.
Dort fanden wir uns in einer prächtigen Halle wieder, wo etliche vornehm gekleidete Damen unter kleinen, in Weidenkörbe gepflanzten Palmen saßen und Tee tranken. Der Club war wie ein Grandhotel. Ich war überwältigt.
Der Speisesaal, den sie Hofgarten nannten, hatte eine hohe Glasdecke, durch die verstreutes Sonnenlicht fiel. Der Raum war voller Grünpflanzen und Blumen, und Musiker mit Geigen und Harfen spielten reizende Melodien. Als wir dem Restaurantleiter zu einem Tisch folgten, war ich so selig, an einem solchen Ort zu sein und von Gideons Mutter so freundlich behandelt zu werden, daß ich mir wie in einem Traum vorkam.
Und dann hörte ich ein Flüstern. »Ich dachte, in diesem Club gäbe es Regeln.«
Und ich sah, wie alle Frauen mich anstarrten.
Aber Gideons Mutter schien die Blicke und das Getuschel nicht zu bemerken, und so erreichten wir endlich unseren Tisch. Olivia saß schon dort. Ich hatte nicht erwartet, daß Mrs. Barclay sie ebenfalls einladen würde. Olivias Mund lächelte, aber ihre Augen sagten: Das werde ich dir niemals verzeihen.
In diesem Moment wurde mir klar, daß ich alles falsch gemacht hatte.
Ich sah, wie Fiona und Olivia und die übrigen Damen gekleidet waren. Sie trugen schlichte Pullover
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