Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
Naturheilmitteln zu beliefern. Es hätte ein glücklicher Tag sein müssen. Aber meine Großmutter wirkt so verloren. Weshalb?«
»Was glaubst du, Charlotte?«
»So, wie Gideon sie betrachtet – die Liebe in seinen Augen, der Kummer in ihren … Jonathan, meine Mutter kam sieben Monate nach der Hochzeit meiner Großmutter mit Mr. Lee zur Welt. Man hat mir immer erzählt, sie sei zwei Monate zu früh geboren worden. Aber heute glaube ich das nicht mehr. Ich denke, sie war schon schwanger, als sie Mr. Lee heiratete, und Mr. Lee war nicht der Vater meiner Mutter. Es war Gideon Barclay. Onkel Gideon war in Wirklichkeit mein Großvater.«
»Wahrscheinlich hast du recht.« Er gab ihr das Bild zurück. »Er war ein toller Mann. Du weißt, wie sehr ich ihn bewundert habe.«
»Jonathan, Agent Knight beharrt darauf, daß Harmony Biotec für die Todesfälle verantwortlich ist. Er wird alles daran setzen, uns zu ruinieren. Ich kann diesem Sturm trotzen. Harmony Biotec wird den Kampf, der vor uns liegt, überstehen. Aber was wird aus GB4204?«
Jonathan wußte, daß Charlotte ihr Präparat zu Ehren von Gideon Barclay »GB4204« genannt hatte. Er war aufrichtig betrübt gewesen, als Gideon starb, auch wenn seine Sorge weniger dem Mann selbst galt als Charlotte, die am Boden zerstört war. Sie waren siebzehn gewesen, und Jonathan hatte sie jeden Tag ins Krankenhaus begleitet. Auf der Intensivstation hatte sie am Bett ihres Onkels gesessen, seine Hand gehalten und leise mit ihm gesprochen, obgleich er im Koma lag und die Schwestern meinten, er könne sie nicht hören. Jonathan würde die Nacht von Gideons Tod nie vergessen, denn mit ihr hatte auch ein neues Leben begonnen.
Charlotte wollte zu ihm kommen, um sich einen Film anzusehen. Als sie nicht erschien, rief er bei ihr zu Hause an. Niemand ging ans Telefon. Nicht einmal das Hausmädchen nahm ab. Von einer schrecklichen Ahnung erfüllt, hatte Jonathan seine Jacke geschnappt und war durch die dunklen Straßen gerannt.
Im Haus brannte Licht, aber niemand öffnete. Er spähte in die Fenster und hatte das Gefühl, in ein Museum zu schauen – lauter möblierte Zimmer ohne Menschen. Schließlich ging er um. das Haus herum. Auf der Rückseite führte ein Terrassengarten hinunter zur Bucht. Der Nebel verschlang die Stadt. Weiße Schwaden schlängelten sich über das glitzernde Gras und durch die Hecken, ließen Feuchtigkeit von den Zitrusbäumen tropfen und Blumen die taunassen Köpfe beugen.
»Charlotte?« hatte er leise gerufen.
Er stapfte vorsichtig über den von heruntergefallenen Blättern aufgeweichten Rasen. »Charlie?« Irgendwo dort im Nebel steckte sie, er konnte es fühlen.
Dann fand er sie, eine geisterhafte Gestalt, das Gesicht der Bucht zugewandt, in den dichten Nebel hinausspähend. Er hatte kein Wort mehr gesagt. Als er näher kam, drehte sie sich um, und sie glitten in eine Umarmung, die mehr sagte als alle Worte.
Er hatte seine Jacke ausgezogen und ins Gras gelegt und dann Charlottes Körper mit seinem zugedeckt. Sie unterdrückte ihr Schluchzen, bis Johnnys Zärtlichkeit, die sanften Bewegungen, mit denen er sie liebte, den Krampf lösten. Dann hatte sie sich an ihn geklammert und geweint, als bräche ihr das Herz entwei.
»Ich weiß, daß GB4204 meinen Onkel – oder Großvater – nicht zurückbringen kann«, sagte sie jetzt. Sie konnte den Blick nicht von dem Foto abwenden. Sie dachte an Gideon und die Nacht, in der er starb, und das Gefühl, das sie von Jonathan gehabt hatte, als sie sich das erste Mal liebten. »Aber am Ende litt er so sehr, daß ich ihm schwor, ich würde einen Weg finden, wenigstens anderen Menschen diese Qual zu ersparen. Ich weiß, daß er mich gehört hat, Jonathan. Er lag im Koma, aber ich weiß es trotzdem. Und jetzt habe ich irgendwie das Gefühl, ihn enttäuscht zu haben.« Sie hob die feuchten Augen. »Ich verstehe inzwischen auch andere Dinge. Im Museum ist der Originalvertrag zwischen Harmonie-Barclay und der Titan Minengesellschaft ausgestellt. Auf dem Schild steht, er sei ein Hochzeitsgeschenk von Gideon Barclay an Vollkommene Harmonie gewesen. Vielleicht habe ich das schon früher gewußt, dann aber vergessen. Jedenfalls weiß ich jetzt, was meine Großmutter an eine Familie band, die sie behandelte wie den letzten Dreck.«
Er lächelte sanft, ein Lächeln, das sie an den Abend im Nebel erinnerte, als er sie mit soviel Liebe und Zärtlichkeit angelächelt hatte. »Vielleicht hast du hier im Museum keinen Killer
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