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Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)

Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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nicht erreicht hatte, war das schwarze Haar noch immer zerwühlt vom Schlaf. Er sehnte sich danach, die Hand auszustrecken und es glattzustreichen, aber dann fiel ihm Adele ein und das Videotelefongespräch mit ihr, kurz nach Mitternacht, als Charlotte in der Kantine gewesen war. In Adeles Augen hatten Tränen gefunkelt, und sie hatte gefragt: »Du bist bei ihr, nicht wahr? Quentin wollte mir nur sagen, daß du an einem Fall arbeitest. Aber du bist bei ihr, um sie zu retten, das weiß ich.«
    Jonathan hatte nie verstehen können, wie ein Thema, das er mit solcher Sorgfalt vermied, dennoch immer da zu sein schien, unüberwindbar zwischen ihnen stand. Der Schmerz in Adeles Stimme … konnte er anders, als zu antworten: »Ja, ich helfe ihr«? Adele verdiente Aufrichtigkeit, das war das mindeste, was er ihr schuldete.
    Trotzdem blieb ein Rest von Unsicherheit. War ihr Schmerz wirklich echt? Litt sie tatsächlich unter seiner alten Beziehung zu Charlotte, über die doch niemals ein Wort fiel? Manchmal konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, Adeles zur Schau getragener Kummer über seine häufige Abwesenheit diene vor allem dazu, ihm Schuldgefühle einzuflößen. Schließlich saß sie, wenn er nicht in London war, keineswegs zu Hause, sondern genoß das Leben im Kreis ihrer vornehmen Freunde in vollen Zügen. Und was ihre Vergangenheit betraf, so wußte er so gut wie nichts von ihr. Wen hatte sie in ihrer Jugend geliebt, wen trug sie vielleicht jetzt noch im Herzen? Adele war nie sehr offen gewesen, und in den letzten Monaten hatte er oft das Gefühl gehabt, sie verheimliche ihm etwas.
    Als er den Kessel wieder auf den Herd stellte, folgte ihm Charlottes Blick und fiel auf die Teeschachtel. »Ich werde diesen Traum einfach nicht los«, sagte sie plötzlich. »Irgend etwas ist mit diesem Tee, das ich wissen muß.«
    »Du weißt es doch schon. Er ist vergiftet.«
    »Nein, das ist nicht alles. Aber ich kann mich nicht … Jonathan, meine Großmutter war ungeheuer abergläubisch und hielt eine Menge von Dingen, die für mich altmodischer Unfug und Hokuspokus waren. Sie erzählte mir immer, daß wir im Augenblick der Not die Stimme unserer Mutter hören könnten, weil wir von einer langen Reihe mutterloser Töchter abstammten. Ich habe ihr das nie recht geglaubt. Aber sie bestand darauf, sie selbst hätte vor vielen Jahren, als es ihr so schlecht ging und sie halbverhungert in einem Kellerloch hauste, weil niemand ihre Arzneien kaufen wollte, die Stimme ihrer Mutter vernommen. Ihre Mutter hätte aus dem Himmel zu ihr gesprochen und ihr erklärt, daß sie ihre Heilmittel ansprechend gestalten müßte, damit sie den Leuten gefielen. Und heute abend, als ich gerade den Tee trinken wollte – Jonathan, ich habe die Stimme so klar und deutlich gehört, als ob du es gewesen wärst.«
    »Und war es deine Mutter?«
    »Wie soll ich das wissen? Ich kenne ihre Stimme ja gar nicht. Aber eben hat sie im Traum wieder zu mir gesprochen und mich auf den Tee hingewiesen. Irgend etwas soll ich über ihn herausfinden.«
    Er musterte sie so eindringlich, als wolle er in ihren Kopf sehen und darin selbst den Traum und dessen geheimnisvolle Botschaft erkennen. »Ruf ihn dir ins Gedächtnis zurück, deinen Traum, Charlotte, und geh ihn von Anfang bis Ende noch einmal durch. Wenn dir jemand eine Botschaft schickt, solltest du darauf hören.«
    Sie nahm den Kaffee, den er ihr eingoß, und dachte: Er ist immer noch so abergläubisch wie früher, wenn er aus den Highlands wiederkam und mir Geschichten von Schlachtfeldern, auf denen es spukt, und Frauen, die sich in Seehunde verwandeln, erzählte.
    Jonathan sah zu, wie sie den Keks in den Kaffee tunkte und an die rosigen Lippen führte. Er hatte Charlotte oft beim Essen zugeschaut. Sie tat es mit der gleichen Begeisterung, mit der sie auch alle anderen Dinge in Angriff nahm. Wie damals in dem Café in Boston, als sie eine Extraportion Salatsoße bestellt und sich dann den Salat mit einem Stück Stangenbrot mit Butter in den Mund geschaufelt und die ganze Zeit leidenschaftlich weitergeredet hatte. »Das ist das einzige, worüber meine Großmutter und ich uns einig sind: Westliche und chinesische Medzin können zusammenarbeiten. Sie sagt immer: ›Charlotte, westliche Medizin ist neu und schnell, chinesische ist alt und langsam. Ein sehr gutes Gleichgewicht, wie Yin und Yang.‹ Aber ich habe mich entschlossen, nicht Medizin zu studieren, Johnny. Onkel Gideons Tod hat mir klargemacht, daß Ärzte

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