Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
dahinter, wo die Datenbank sitzt, ist alles mehr oder weniger ungeschützt.«
Während er seinen Suchlauf durchführte, betrachtete Charlotte die Teeschachtel. Plötzlich war der beunruhigende Traum wieder da und mit ihm die seltsame Warnung, die so real geklungen hatte, daß sie die Teetasse fallengelassen und zerbrochen hatte. War es wirklich die Stimme ihrer Mutter gewesen oder nur eine Einbildung?
Sie nahm die Schachtel in die Hand und untersuchte sie. Die blausilberne Schrift und das kleine Bild der Trauerweide am See verrieten ihr nichts. Sie zog einen Teebeutel heraus und legte ihn in die Handfläche. Und dann fiel ihr etwas auf.
»Das ist es! Das ist es, was ich bemerken sollte! Schau her, Jonathan. Diese Teebeutel sind verändert worden, und zwar nicht in der Fabrik, sondern später.«
»Was? Das heißt, daß es nicht Rusty war.«
»Genau! Jemand will es so aussehen lassen, als ob Rustys Sabotage daran schuld wäre. Aber ich wette, wenn wir den Tee aus dem von ihm abgezeichneten Produktionsabschnitt untersuchen ließen, wäre er einwandfrei.«
»Verdammt!« Jonathan sprang auf. »Man hat absichtlich deinen Tee vergiftet. Charlotte, man hat es auf dich abgesehen.«
36
»Der Killer ist kein Fremder.« Charlotte musterte grimmig den vergifteten Teebeutel. »Es ist jemand, der mich gut genug kennt, um zu wissen, daß ich immer mit der Corvette fahre, daß ich nur diesen speziellen Tee trinke, daß ich ein enges Verhältnis zu meiner Haushälterin habe und daß Naomis Tod mich umbringen würde. Ein Fremder würde das alles nicht wissen und könnte mich darum auch nicht an diesen empfindlichen Stellen angreifen.«
Sie ging hinüber in das Museum und blieb mitten im Raum stehen, als wollte sie dem Schuldigen zurufen, er solle sich zeigen und stellen. »Bist du hier?« fragte sie leise. »Habe ich dein Gesicht gesehen und es für das eines Freundes gehalten?«
Gleich neben ihr befand sich eine Vitrine mit dem Schild »Neue Fabrik, 1936«. Darin war das Modell einer Fabrikations- und Abfüllanlage aufgebaut – mit winzigen Menschen an einem Miniaturfließband. Weiter obend hing ein Foto, das eine Gruppe von Menschen unter dem riesigen Schild »VOLLKOMMENE HARMONIE – Gesellschaft für chinesische Naturheilmittel« zeigte.
Charlotte trat näher, um das Bild genauer zu betrachten. Sie konzentrierte sich auf die Figur in der Mitte, ihre Großmutter, obwohl man sich diese schöne junge Frau nur schwer als Großmutter vorstellen konnte. Zur Zeit der Aufnahme war Harmonie erst achtundzwanzig Jahre alt gewesen, wenn auch offiziell dreißig. Sie war ganz in Weiß gekleidet, weil sie Trauer trug.
Vorn in der ersten Reihe standen Seite an Seite Margo und Adrian – sieben Jahre alt und schon ein Paar. Margo war hier größer als ihr zukünftiger Gatte, und Adrian hatte bereits diesen streitsüchtigen Ausdruck im Gesicht, der sich im Lauf der Jahre noch verstärken würde.
Charlotte war natürlich nicht auf dem Bild, ebensowenig Desmond oder Jonathan. Sie gehörten erst zur nächsten Generation. Aber es gab andere, die Charlotte wiedererkannte, lächelnde Gesichter, bei deren Anblick sie sich fragte, ob sie Geheimnisse verbargen, die Geheimnisse eines Killers, der sie töten wollte.
»Charlotte?«
Sie drehte sich um. Jonathan wirkte besorgt.
»Möglicherweise ist die Person, die wir suchen, nicht hier.«
»Was meinst du?«
Er zögerte. »Während du schliefst, habe ich mir die Finanzen von einigen eurer Konkurrenten angesehen, weil ich dachte, es könne sich trotz allem um Industriesabotage handeln.«
Sie hörte an seinem Tonfall, daß er auf etwas gestoßen war – etwas Unerfreuliches.
»Charlotte, welches Unternehmen würde am meisten davon profitieren, wenn Harmony in Konkurs ginge?«
Es gab mehrere. »Mondstein, nehme ich an. Sie sind unsere schärfsten Konkurrenten.«
»Ich habe mir eine Aufstellung ihrer Investoren besorgt.« Er reichte ihr einen Ausdruck. »Die Liste ist lang, aber alphabetisch geordnet, so daß man leicht nach bekannten Namen suchen kann.«
Sie fürchtete sich beinahe, einen Blick darauf zu werfen. »Sag mir nicht, du hättest einen der Barclays darauf gefunden!«
»Nein, aber einen anderen Namen, den ich kenne.«
Charlotte überflog die Liste und suchte nach einem Namen, der ins Auge sprang. Tatsächlich. »Naomi Morgenstern!«
»Zwanzigtausend Anteile. Beachte das Datum.«
»Vor vier Tagen gekauft.«
»Hat sie ein Wort davon erwähnt?«
Charlotte schüttelte stumm
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