Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
wußte, daß er kein Held war. Adele, Quentin, die National Security Agency, selbst der Präsident der Vereinigten Staaten, der ihm eine besondere Belobigung aussprach, weil er die berüchtigte Hackerbande zerschlagen hatte – sie alle irrten. Jonathan Sutherland war ein Schwindler, und niemand außer ihm wußte es.
»In ein paar Stunden kann ich dir mehr sagen«, antwortete er und fragte sich, ob er je wieder Frieden finden würde, nun, da die Dämonen aufs neue entfesselt waren.
»Soll ich die Einladung annehmen?« fragte Adele.
Er zögerte nur für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er antwortete: »Selbstverständlich mußt du sie annehmen. Wir gehen auf jeden Fall hin.« Aber sie hatte sein Zögern bemerkt. Sofort schien hinter ihren Augen ein Vorhang zu fallen, schienen Kulissen anmutig einzustürzen.
»Adele«, begann er, aber etwas hinderte ihn daran weiterzusprechen, lähmte ihn, während er den Bildschirm anstarrte. Es war ein Geräusch im Hintergrund.
»Ich muß auflegen, Liebling«, sagte sie rasch und schaute über ihre Schulter. »Der Gärtner ist hier und hat tausend Fragen. Ich rufe dich später wieder an. Paß auf dich auf. Alles Liebe.«
42
Charlotte riß die Tür zum Museum auf und ging schnurstracks zu einem riesigen Möbelstück, das allein im Licht eines milden Scheinwerfers stand und mit drei Samtschnüren abgesperrt war. Auf dem Schild stand »Die hohe Kunst der Chinoiserie« und darunter »Sekretär, um 1815«. Er hatte in der Bibliothek des großmütterlichen Hauses gestanden, solange sie zurückdenken konnte, bis ihre Großmutter ihn hierher ins Museum bringen ließ.
Charlotte hakte eine Samtschnur los und trat auf das kleine Viereck aus grauem Teppichboden.
Der Sekretär aus schwarzem Lack war weit größer als sie und über und über mit atemberaubenden Gold- und Bronzemotiven verziert. Er bestand aus unzähligen Schubladen und Steckfächern. Die Schreibplatte war aufgeklappt und mit antiken Schreibfedern, einem Tintenlöscher und einer altmodischen Brille dekoriert. Die Steckfächer enthielten Briefpapier, und eine der Schubladen stand offen und zeigte Siegellackstangen und Kordel.
Desmond hatte gesagt, Olivia sei wie besessen gewesen, sie hätte Stunden damit verbracht, Briefe zu schreiben.
Charlotte griff nach oben und zog aus einem der Fächer ein Bündel Umschläge. Sie trugen ein kunstvolles Wappen und waren mit einem Band zusammengebunden. Sie hatte sie immer für bloße Dekoration gehalten. Jetzt erkannte sie, daß es sich um echte Briefe handelte.
Rasch schob sie sie zu den anderen Dingen, die sie eingesteckt hatte, in die Ledertasche, wo sich auch ein altes Tagebuch befand, das sie in einer Schublade der Küchenecke gefunden hatte.
Jetzt erst bemerkte sie Jonathans Zettel. »Ich muß noch etwas draußen am Hauptkommunikationsfeld einstellen. Wir treffen uns am Auto.«
Seine Sachen waren fort. Er hatte alles mitgenommen, auch seinen Regenmantel. Aber dort auf dem Stuhl hing noch sein Jackett, das er beim eiligen Aufbruch offenbar vergessen hatte. Charlotte nahm es und legte es über ihren Arm. Dabei fiel seine Brieftasche heraus und öffnete sich, als sie am Boden aufschlug. Charlotte hob sie auf. Ein Stück Papier sah heraus. Ihr Blick fiel auf ein vertrautes Bild: der Mond mit einem Katzengesicht darin.
Sie zog es heraus. Es war ein mehrfach gefalteter Brief, der an Jonathan adressiert war. Charlotte erkannte das Briefpapier sofort. Es gehörte Naomi.
»Mein lieber Freund«, hatte Naomi geschrieben. »Es ist so lange her, daß wir uns das letzte Mal begegnet sind. Ich möchte Dir meine neue Anschrift mitteilen. Wir dürfen den Kontakt nicht verlieren! Friede und liebe Grüße, Naomi.«
Charlotte suchte das Datum. Drei Jahre war das her.
Jonathan kannte Naomi.
Als sie Stimmen hörte, drehte sie sich um. Auf dem Überwachungsmonitor erschienen Valerius Knight und seine Männer, die vor dem Hauptgebäude aus zwei dunklen Limousinen stiegen. Knight erteilte Anweisungen. Die Männer sollten Charlotte Lee finden und festhalten.
Man wollte sie verhaften.
Sie blickte auf den Zettel in ihrer Hand – Jonathan kannte Naomi. Er hatte sie angelogen, vielleicht sogar verraten – sie war außer sich vor Zorn. Es war ein Zorn, explosiv wie der Feuerball in Naomis Haus und wild wie der Höllenbrand, der das Tierversuchslabor von Chalk Hill zerstört hatte.
Wie konnte er ihr das verschweigen? Warum die Geheimnistuerei? Warum die vielen Fragen über Naomi, wenn er sie
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