Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
der Gideon mich eingeladen hatte, und einmal in einem Krankenhaus, als er sich von einer Knieoperation erholte. Ich wußte von Gideon, daß sie, obwohl so reich und die Königin ihres gesellschaftlichen Kreises, obwohl eine Barclay und mit dem gutaussehenden Gideon verheiratet, keine glückliche Frau war. Anscheinend reichte ihr das alles nicht, denn ich hatte das Haus.
Das war natürlich auch der Grund für die Briefe, mit denen sie mich im Lauf der Jahre bombardiert hatte, Briefe voll zorniger, giftiger Worte, Drohungen, mich von Haus und Hof zu jagen, Versprechungen, mich wünschen zu lassen, ich wäre nie aus Singapur herausgekommen. Ich hatte niemandem davon erzählt, nicht einmal Gideon, und allmählich kamen sie seltener, wurden kürzer und weniger ausfallend, um dann am Ende ganz auszubleiben.
Ich führte Olivia in mein Wohnzimmer und wußte, was sie sah, als ihre Augen über Wände, Böden und Möbel wanderten. Sie sah eine Beleidigung, die Entweihung ihres Traums. Es gab nichts Viktorianisches mehr, aber auch von Olivias ultramoderner Welt war nichts übrig. Ich hatte mein neues Heim auf chinesische Art eingerichtet, so daß Olivia von geschnitzten Möbeln aus exotischem, dunklem Holz umgeben war, von schwarzgoldenen Wandschirmen aus Lack, Rollbildern an den Wänden und sparsam verteilten, bedeutsamen Kunstwerken wie dem kaiserlichen Drachen in Cloisonnéarbeit auf seiner Rosenholzkommode, den gewaltigen, mit Mandarinenten bemalten Melonenkruglampen vor rotem Hintergrund und dem Trio lebensgroßer Messingkraniche, die zwischen naturgetreu patiniertem Schilf und Bambus stehend den Raum beherrschten. Während ich in einem kobaltblauen, mit Schmetterlings- und Päonien-Motiven verzierten Cloisonnéservice Tee einschenkte, sah ich das unverstellte Urteil in Olivias Augen. Man hätte denken können, ich hätte das Haus mit Müll zugekippt.
»Es handelt sich nicht um einen Höflichkeitsbesuch«, begann sie und rührte weder den Jasmintee noch meine Mandelsesamkekse an.
In einem Ton, der scharf war wie ein Schwert, fuhr sie fort: »Ich möchte gerne gleich zur Sache kommen.« Sie öffnete ihre Handtasche und nahm zwei Briefumschläge heraus, von denen der eine versiegelt war. Sie gab mir den anderen. »Lesen Sie diesen zuerst.«
Noch mehr Briefe, dachte ich. Und so wichtig, daß sie sie persönlich überbringen muß.
Als ich den Umschlag öffnete und vorsichtig die Blätter herauszog, flatterte mein Herz ängstlich wie ein Vogel im Käfig. Ich wußte sofort, daß Olivia schlechte Nachrichten und Unglück gebracht hatte, denn der Brief stammte nicht von ihr. Die Absenderadresse war der Name einer Privatdetektei in Hongkong.
»Ich habe fünfzehn Jahre gebraucht, um diese Informationen zu erhalten«, erklärte sie, nahm eine Zigarette aus ihrem Etui und zündete sie an, ohne mich um Erlaubnis zu fragen. »Ich habe nie geglaubt, daß Sie Richard Barclays Tochter sind, oder, falls doch, daß er jemals mit Ihrer Mutter verheiratet war. Es hat eine Menge Geld und Lauferei gekostet, bis ich erfuhr, was ich wissen wollte. Im Krieg sind viele Aufzeichnungen untergegangen, ebenso viele Menschen. Aber der Mann, den ich beauftragt habe, konnte doch endlich das Nötige herausfinden.«
Ich schaute nicht auf die Papiere, sondern in ihre Augen. »Und was ist das?« fragte ich sanft.
»Daß ich recht hatte. Ihre Mutter und Richard Barclay waren nie gesetzlich verheiratet.«
»Nein. Nicht gesetzlich. Trotzdem waren sie Mann und Frau.«
»Nicht in irgendeiner Form, die vor Gericht standhalten würde. Mrs. Lee, Ihre Geburtsurkunde ist ebenso gefälscht wie Ihre Staatsangehörigkeit. Bestimmt würde ein Gericht sich dafür interessieren, daß Sie unter falschen Angaben in unser Land eingereist sind. Ich könnte mir vorstellen, daß man Sie nach Singapur zurückschickt.«
»Und das hier?« Ich sah auf den versiegelten Umschlag.
»Das hat mein Beauftragter seinem Brief beigelegt. Es ist an Sie persönlich adressiert.«
Wieso hatte sie es nicht aufgemacht, dieses lediglich mit Leim versiegelte Stück Papier, nachdem sie doch mein ganzes Leben so weit aufgerissen hatte? Der Umschlag enthielt einen langen Brief von Reverend Peterson, dem Mann, der meiner Mutter und mir vor vielen Jahren geholfen hatte.
»Vergeben Sie mir, Harmonie«, schrieb er. »Der Mann hat mich hereingelegt. Er gab vor, ebenfalls Geistlicher zu sein. Als ich dann herausfand, daß er mich betrogen und ich ihm Dinge anvertraut hatte, die keinen Fremden
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