Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
zwischen allen Stühlen. Weil er nicht gleichzeitig seiner Mutter gehorchen und seiner Frau gefällig sein konnte, flüchtete er mehr und mehr in Yachtclubs, auf Golfplätze und, wie Gideon vermutete, in die Bordelle von Nevada.
Diese Nachrichten machten mir Sorgen, denn ich wußte, wie sehr auch Gideon sich nach Enkelkindern sehnte. Mißklänge wie diese mußten Margos innere Harmonie und ihr Gleichgewicht von Yin und Yang stören sowie den Fluß ihres chi hemmen, was ihre Chancen, überhaupt schwanger zu werden, deutlich verminderte. Gideon fragte mich, ob ich ihr helfen könnte, ob ich ein Heilmittel wüßte. Ich erinnerte ihn daran, daß meine Mittel nicht heilten, denn das war nicht der chinesische Weg. Sie gaben dem Körper nur Gleichgewicht und Harmonie zurück, damit er sich selbst helfen konnte. Genau das jedoch war es, was Margo brauchte – die Wiederherstellung ihrer inneren Harmonie.
Ich gab Gideon eine Flasche Goldlotuswein, den ich selbst seit Jahren nahm. Ich selbst war der Beweis für die ausgleichende Kraft meiner Medizin, denn obwohl ich fünfzig Jahre zählte, schätzten mich die meisten Leute zehn Jahre jünger. Die Flasche für Margo stammte aus meinem Privatvorrat und kam nicht aus der Fabrik. Ihren Inhalt stellte ich selbst in meiner Küche her, so wie es schon meine Mutter und vor tausend Jahren die Goldlotusdame getan hatte. Alle Bestandteile kamen in ein großes Tongefäß, das mit dem starken chinesischen Gao-liang- Schnaps gefüllt war. Es wurde gut verschlossen und die Mischung dann sechs Monate stehengelassen. Anschließend wurde sie gefiltert, mit noch mehr Gao-liang aufgefrischt, neu versiegelt und dann wieder weggestellt, um weitere sechs Monate durchzuziehen. Zu den kraftvollen Ingredienzien, die ich dabei verwendete, gehörten Engelwurz, die das Gleichgewicht des Monatsflusses reguliert, zerstoßener Seidenwurm, der das Blut besänftigt, und getrockenete menschliche Plazenta, allesamt starke Verjüngungs- und Fruchtbarkeitsmittel.
Margo mochte mich nicht und hatte kein Vertrauen in Naturheilmittel, auch wenn sie ihnen ihren ganzen Reichtum verdankte. Darum wußte ich, als mir Gideon sagte, sie trinke regelmäßig ihren Goldlotuswein und bitte um weitere Flaschen, daß ihr Wunsch nach einem Baby tief und echt war.
Zu Beginn des Frühjahrs 1958 entdeckte ich, daß Iris erneut schwanger war.
Diesmal fuhren wir nicht nach Hawaii, und ich sagte es auch Gideon nicht. Ich ließ Iris in ihren Schlafräumen und erzählte Gideon und allen Freunden, daß meine Tochter die Treppe heruntergefallen sei und eine vorübergehende Lähmung davongetragen habe, die sie ans Bett fessele. Ich stellte zwei weitere Krankenschwestern ein, die Mrs. Katsulis halfen, meine Tochter rund um die Uhr zu bewachen. Iris bekam so viele Puzzlespiele, wie sie brauchte, um beschäftigt zu sein. Und sieben Monate später, als das Kind kam, war ich zum zweitenmal die Hebamme für mein eigenes Enkelkind.
Ich wußte längst, was ich zu tun hatte. Nachdem ich den Säugling bei Licht sorgfältig untersucht und mich davon überzeugt hatte, daß er keinerlei chinesische Züge trug, nahm ich der schlafenden Iris das Baby weg, badete es und wickelte es in Decken. Dann klingelte ich mitten in der Nacht an Margos Tür. Ich sagte ihr, daß man mich zu einer Freundin gerufen hätte, deren Tochter in den Wehen gelegen habe. Die Tochter sei unverheiratet, und die Familie wolle das Baby nicht. Ich versprach Margo, wenn sie das Kind nehmen wollte, würde es unser Geheimnis bleiben. Mr. Sung, mein Freund und ein vertrauenswürdiger Mann, würde für Geburtsurkunde und Adoptionspapiere sorgen und der Sache damit einen rechtmäßigen Anstrich geben.
Margo nahm das Baby der Fremden mit Freuden auf. Als Olivia die Neuigkeit erfuhr, war sie nicht begeistert, konnte aber nichts mehr dagegen tun. Adrian war erleichtert, weil das Gezänk aufhörte. Niemand wußte, daß das adoptierte Kind Gideon Barclays Enkel war.
Sie nannten ihn Desmond.
50
5 Uhr morgens – Palm Springs, Kalifornien
Charlotte kam aus dem Badezimmer, in der einen Hand ein Buch, in der anderen ein Handtuch für die Haare.
»Johnny, ich weiß jetzt, wer es ist.«
»Ich auch.« Er drückte auf die Eingabetaste, und auf dem Bildschirm erschien das Ergebnis seiner Suche.
Dann drehte er sich zu ihr um. Sie stand in der Tür. Nur allzugerne hätte er das Handtuch genommen und ihr das lange Haar getrocknet, es durch die Finger laufen lassen und mit seiner
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