Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
womöglich ebenfalls bei diesem Gewitter unterwegs war, sie sehen konnte. Aber Pfade und Rasenflächen waren verlassen. Der Regen wurde immer stärker, es bildeten sich Pfützen, und in unsichtbaren Kanälen rauschte lärmend das Wasser. »Hier entlang!« Charlotte führte Jonathan zur Tür des Hauptgebäudes, wo sie sich unter dem gelben Band hindurchduckten, das vor der Tür gespannt war.
Sie gingen durch einen stillen Korridor und gelangten so in den Außenbereich des Hauptlaboratoriums. Dort streiften sie eilig weiße Wegwerfoveralls, Papierschuhe und Hauben über.
»Nimm das – für alle Fälle«, sagte Charlotte und gab Jonathan einen Mundschutz. »Falls jemand überraschend auftaucht, kannst du dein Gesicht dahinter verstecken.«
Charlotte öffnete die Glastür, auf der stand »NUR FÜR ZUGANGSBERECHTIGTE«. Einen Augenblick sah sie sich um und lauschte. Das Laboratorium schien verlassen. Sie ging voran, und Jonathan folgte ihr, vorbei an Arbeitstischen aus Chrom, Kühlschränken, Brutkästen, Sterilisationsgeräten. »Sehr eindrucksvoll«, sagte er und musterte die Massenspektrometer, Oszilloskope, Elektronenmikroskope und sonstigen, dem neuesten Stand der Technik entsprechenden Apparaturen. »Ein bißchen anders als damals, als bei deiner Großmutter chinesische Damen an Holztischen saßen und von Hand Wurzeln und Beeren sortierten.«
Er blieb bei einem Arbeitsplatz voller Reagenzgläser, Petrischalen und Fläschchen stehen und hob einen durchsichtigen Plastikbeutel mit dunkelgrünen Blättern hoch. »Oder vielleicht sollte ich das zurücknehmen.«
»Das ist unser neuster Erfolg«, erläuterte Charlotte und horchte aufmerksam, ob sich jemand näherte. »Johanniskraut. Seit Jahren bietet Harmony Produkte an, die es enthalten, aber sie dienten immer nur zur äußerlichen Behandlung von kleinen Wunden und Verbrennungen. Die Pflanze enthält jedoch auch den Stoff Hyperizin, ein Antidepressivum. Als ich im British Medical Journal las, daß die Pharmaindustrie den Nutzen des Krautes bei depressiven Erkrankungen erforscht, war mir klar, daß es einen riesigen Markt für ein weiteres pflanzliches Präparat von uns geben würde. Deshalb haben wir letztes Jahr ein brandaktuelles neues Produkt herausgebracht – Johanniskraut zum Einnehmen, gut gegen Angstzustände, Anspannung und Schlaflosigkeit.«
Er legte den Beutel wieder hin. »Eine Art Kräuter-Prozac?«
»Die Reaktion war enorm, größer, als wir erwartet hatten. Die Bestellungen kamen schneller, als wir liefern konnten. Wir mußten die Produktion rund um die Uhr laufen lassen, um den Bedarf zu decken.«
»Gut für euch«, meinte er ruhig, in seiner alten Johnny-Art, und aus seinen dunklen Augen strahlten Bewunderung und Lob.
»Des hat auch dazu beigetragen. Er hat eine großartige Werbekampagne gestartet.«
»Ich wette, er ist dadurch noch eingebildeter geworden. Er hat sich nicht verändert. Ich habe deinen lieben Cousin auf dem Überwachungsmonitor beobachtet.«
»Desmond kann nichts dafür, daß er so ist«, begann Charlotte und unterbrach sich, als sie ein Geräusch hörte. »Sch! Was war das?«
Er lauschte. »Nur der Donner.« Er blickte auf ihre Hand, die auf seinem Arm lag, und spürte den leisen Druck ihrer Fingerspitzen durch die Papierärmel des Overalls. Während er zusah, wie ihre grünen Augen langsam durch das Laboratorium schweiften, sagte er leise: »Verteidigst du immer noch den armen, alten Desmond – nach so vielen Jahren?« Aber sie antwortete nicht.
Sie gingen weiter und gelangten zu einem verglasten Raum, den mehrere Türen mit Warnschildern abschirmten. »Was ist da drin?« fragte Jonathan.
»Das ist eine unserer kontrollierten Umweltkammern. Ein Ultra-Hochsicherheitsbereich.«
»Eingeschränkter Zugang?«
»Extrem eingeschränkt. Zusätzlich zu den Ausweisanhängern und einer Schließanlage mit Zugangscode haben wir eine biometrische Identifikation installiert.«
Jonathan beugte sich über die Schalttafel der Türsicherung und untersuchte sie. »Infrarot-Gesichtsaufnahme. Auch hier hat eure Sicherheitsfirma gut gearbeitet. Wurde in diesem Labor GB4204 entwickelt?«
»Und andere Präparate in unterschiedlichen Stadien von Forschung und Entwicklung.«
Er nickte. »Da steckt eine Menge Geld drin, auch zukünftiges Geld.«
»Wir haben privaten Investoren angeboten, sich zu beteiligen.«
Überrascht drehte er sich um. »Fremdes Geld?«
»Wir brauchten Kapital.«
»Und wer kümmerte sich darum, es zu
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