Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
drehte sich um. Margo stand so dicht an der Tür, als wäre sie durch das Holz geschwebt wie ein Geist. Seine schöne Margo, die auch nach so vielen Jahren immer noch stolz auf ihn sein sollte. Er hatte ihr kein Kind schenken können. Vielleicht waren Ruhm und Anerkennung ein guter Ersatz.
Margo sah auf ihren Mann, der vor der Kulisse des Unwetters stand. Sie hatte den Wortwechsel zwischen ihm und Charlotte mit angehört und wünschte sich nur eines: wie eine Tigerin über Charlotte herzufallen, sie zu zerreißen und Adrian ihre Knochen als Opfer darzubringen.
Für Adrian würde sie töten.
Adrian, ihren Retter – Adrian, der für sie sorgte und sie vor einem Leben voller Männer und Sex beschützte – Adrian, der verstand, was ihre sexuellen Lockrufe in Wirklichkeit bedeuteten, der wußte, warum sie flirtete und Männer anlockte, wie eben erst Agent Knight … sie hatte so getan, als fände sie ihn begehrenswert, hatte Zeichen ihres Interesses ausgesandt.
Sie tat es, weil es die Männer am Ende immer vertrieb. Man brauchte ihnen nur hart genug entgegenzutreten, Zähne und Klauen gewetzt, und sie liefen davon. So war es auch bei Valerius Knight gewesen, der sich erst für sie erwärmt hatte und dann plötzlich erstarrt war, sich räusperte und deutlichen Wert darauf legte, daß sie den Trauring an seiner linken Hand nicht übersah. Einmal abgewiesen, brauchte Margo sich keine Sorgen mehr darüber zu machen, daß ein Mann von sich aus wieder auf sie zukam. Sie war frei von allem Sexgeplänkel und damit frei von Sex überhaupt.
Auch damals vor vielen Jahren hatte es geregnet, als die siebenjährige Margo aus einem Alptraum aufgewacht war. Sie war den langen, beängstigenden Korridor hinuntergelaufen, vorbei an »Onkel« Gideons Zimmer, zu Adrian. Sie hatte an seinem Schlafanzugärmel gezupft und geflüstert: »Ich habe Angst.« Die beiden Kinder kannten einander noch kaum. Margo war gerade erst bei den Barclays eingezogen – bei Gideon, den sie »Onkel«, und der älteren Dame, Fiona, die sie »Tante« nennen sollte. Es war nur für kurze Zeit, dann würde ihre Mutter sie wieder abholen.
Aber selbst hier, viele Meilen von zu Hause entfernt, hatte sie diese Alpträume, und sie fürchtete sich davor, allein zu schlafen.
Wenn sie allein schlief, konnte der Alkohol kommen … und die Schmerzen.
Wortlos hatte der siebenjährige Adrian die Decke hochgehoben, und Margo war neben ihn geschlüpft. Sie hatte ruhig und ohne Träume geschlafen.
Von ihrer Kindheit in Philadelphia wußte sie kaum noch etwas. Sie erinnerte sich nur an schöne Möbel in einem großen Haus, an Kronleuchter und elegante Frauen in weißen Kleidern. Aber das Bild verschwamm an den Rändern, und dann kamen der Geruch von Alkohol und die Schmerzen. Und Mama am Bahnhof, die zu ihr sagte: »Beeil dich, Margo. Und schau nicht zurück. Was immer du tust, schau nie zurück.«
Und das hatte sie auch nicht getan. Seit zweiundsechzig Jahren hatte sie niemals zurückgeschaut. Bis heute.
Heute stürmten die Erinnerungen auf sie ein – nicht an damals, als sie im Bett lag und sich fragte, ob sie wieder Alkohol riechen und Schmerzen haben würde –, sondern an das große Haus in San Francisco, in dem sie aufgewachsen war und entdeckt hatte, daß der Neid anderer – auf das Haus, die Kleider, den Erfolg – einem half, das schmutzige Gefühl von Männerhänden auf dem Körper und den Anblick von Dollars, die aus der Hand eines fremden Mannes in die des eigenen Vaters wechselten, zu vergessen.
»Die Depression hat unsere Lage verschlechtert«, hatte ihre Mutter damals zu Gideons Mutter Fiona gesagt, um zu erklären, warum sie ihre Tochter gern eine Zeitlang bei den Barclays lassen wollte, »nur vorübergehend, um ihr wirklich alle Möglichkeiten zu geben«. Margos Großmutter war eine alte Schulfreundin Fionas gewesen, und auch Margos Mutter kannte die Familie gut. Sie wollte Margo nach ein paar Wochen wieder mitnehmen. Aber sie kam nie mehr zurück. Wenige Monate, nachdem Margos Vater unter einem U-Bahn-Zug starb – »muß irgendwie ausgerutscht sein«, sagten Zeugen –, verließ Margos Mutter mit Hilfe von Gin und Schlaftabletten ebenfalls diese Welt. Danach war nie mehr davon die Rede, daß Margo die Barclays wieder verlassen oder nicht mehr in Adrians Bett schlafen sollte.
Genausowenig war es eine Frage gewesen, daß sie Adrians Frau werden würde. Er war der einzige, der ihr Geheimnis kannte: daß ihr Vater sie zu sexuellen Zwecken an
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