Das Haus der Rajanis
welche Wunder und Geheimnisse des unschuldigen Wanderers harren.
Müde und schmutzig war er, seine Augen hohl vor Hunger und Erschöpfung, sein Gesicht zerkratzt und blutverschmiert, sein Haar staubig und seine Kleider zerfetzt und zerlumpt, doch er lebte und atmete noch, ging aus eigener Kraft, derweil seine getreuen Begleiter fehlten.
Ich war der Erste wohl, der seiner gewahrte, als auf zittrigen Beinen er durch das Tor des Anwesens schwankte. Aus der Ferne,im Licht der Abenddämmerung, wähnte irrtümlich ich die Gestalt eines verwundeten Soldaten in ihm, einen blutigen Verband um den Kopf und die ramponierte Flinte geschultert, und für einen Moment erwog ich gar, ins Gutshaus zu schlüpfen und dort einen Dolch, ein Messer oder einen Knüppel zu finden, mich gegen nahendes Unheil zu wappnen, doch fand sich mir keine Gelegenheit dazu, da seine Mutter just in diesem Augenblick auf die Terrasse trat und ich mich unter Ästen verbarg, um nicht den Zorn des Jungen zu wecken.
Die Araberin stieß unter Tränen der Freude einen tiefen Seufzer aus und rief seinen Namen, doch ihre Stimme brach, als der Junge das Gesicht von ihr wandte und sich ihrer inniglichen Umarmung verweigerte, da in seinem erhitzten Antlitz und den träumerischen Augen die Halluzinationen des Wahns und die Qualen eines Verrückten überdeutlich sich spiegelten. Einzig das Gekrächze der alten Dienerin, die aus ihrer verschlossenen Kammer aufgetaucht, nachdem den Tumult und Aufruhr sie gehört, schenkte Beachtung er. Sie tupfte das Blut von seinem Gesicht, versah mit einem frischen Verband ihn und wischte fort den Schlamm und Dreck. Die Frauen drängten offenkundig ihn und fragten: «Was ist geschehen? In Allahs Namen, berichte uns!» Doch Salach, gestützt auf die Arme der wohlbeleibten Dienerin, stieg unter größter Mühe die Eingangsstufen zum Gutshaus hinauf, derweil ich den dreien folgte wie ein Schatten, achtsam darauf bedacht, dass der Junge mich nicht bemerkte, da ich fürchtete, er könnte hysterisch werden, was unweigerlich sein Fieber in die Höhe schnellen ließe und ihn auch noch seine letzten Kräfte kosten würde.
Bei ihrem Eintritt in das Haus murmelte der Junge mit heiserer Stimme, der in den wenigen Tagen, da er fort gewesen, einige Reife zuteilgeworden, man möge ihm Brot, Wasser und Olivenölbringen, welches alsbald er gierig verzehrte, da die Nebelschleier der Dunkelheit das Haus belagerten, die Terrasse in die Schatten des Abends hüllten wie schwere Decken den Körper des zerschlagenen Wandersmannes, und die Nacht sich mit einem Male herabsenkte und lange Schatten über die Wände und zwischen die Falten der Vorhänge und Teppiche warf.
Der Junge versuchte, noch etwas zu sagen, ja rief gar meinen Namen, dessen Silben viele ihn ermatten ließen – Lu-min-sky –, doch die Frauen eilten, ihn zum Schweigen zu bringen, denn das Blut war ihm gesunken und sein Gesicht von beängstigender Blässe, und sie zogen seine zerrissenen Kleider ihm aus und machten sich daran, seine Wunden und Schrunden zu versorgen, sprachen in ihrer Sprache zu ihm mit großer Erregung, wobei hier und dort mein Name Erwähnung fand, jedes Mal einhergehend mit Grimassen und Naserümpfen, die Beleg genug, dass mitnichten man vorteilhaft von mir sprach.
Einmütig geleiteten sie ihn ins obere Stockwerk, zu seinem Zimmer, doch da sie beim Gehen ihn stützten, ihm zu helfen, stöhnte Afifa mit einem Mal laut, brach in Tränen aus und rief: «Der Junge stirbt! Der Junge stirbt!» Salach indes antwortete ihr: «Nein, ich lebe noch, noch habe meine Seele ich dem Schöpfer der Welt nicht zurückgegeben.»
Sie löschten die Kerzen in seinem Zimmer und ließen in einen tiefen, langen Schlaf ihn sinken, alldieweil die beiden Frauen lange unter Schluchzen und Schnäuzen miteinander redeten, niedrige Schemel herbeischafften und sich an sein Bett setzten, um alle möglichen Verse aus dem Koran zu lesen, welche, der Intonation nach und dem einhergehenden Weinen, wohl zur Rezitation am Sterbelager eines Todkranken bestimmt.
Ich ging von dort mit schwerem Herzen und widerstrebenden Gefühlen, da Trauer und Wut in mir sich mischten wie dertanzende, verwirbelte Strudel von Süßwasser und Salzwasser, von tiefem und seichtem Wasser, von Trinkwasser und Brackwasser.
Auf dem Rückweg hierher, zu meinem Haus in Neve Shalom, tat der Himmel sich auf, und die Sturzbäche des
Malkosh
, des letzten Winterregens, umstürmten mich, so schwer und reichlich prasselte das Wasser
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