Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der Rajanis

Das Haus der Rajanis

Titel: Das Haus der Rajanis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alon Hilu
Vom Netzwerk:
und alles würde unter der Macht des Windes sich beugen und zusammenbrechen.
    Der Weg zurück zu unserem Gut war von viel Wasser überspült, dem aus den Schleusen des Himmels und dem, welches über meine Wangen rann. Das Fahrrad wälzte durch die schlammige Erde sich, und Fuhrleute und Reiter, denen ich begegnet, riefen mir schreiend ihre Warnung zu – «Junge, wohin fährst du? Der Fluss wird bald über seine Ufer treten!» –, doch ich fuhr unbeirrt weiter, kämpfte zuzeiten mit den wilden, peitschenden Winden,die in meinen Ohren pfiffen, um alsdann meinen Griff zu lockern, sei’s drum, sollte ich doch in die Fänge des Flusses gerissen werden, in die Tiefe seines feuchten Schlundes, da verwirrt meine Gedanken waren und einer vom anderen durchkreuzt – der Engel Gabriel begehrt mich nicht länger, heiter sitzt in seinem warmen Hause er, in den Armen der goldhaarigen Frau, und jede Erinnerung an seine Freundschaft, seine Kameradschaft und den Bund mit Salach er längst vergessen hat, denn was sollte dieser schöne Mann im Sinne haben mit einem Jungen, der von allen gehasst? Auch verspottete ich für die Überheblichkeit mich, die mich verleitet zu glauben, ich würde irgendwann einmal die Pfade einer solch wundervollen Freundschaft beschreiten, die mich bewogen, wirklich und wahrhaftig zu hoffen, die Schönheit könnte jemals sich verbinden mit der Unansehnlichkeit, die Reinheit mit der Nichtigkeit, der Mut mit der Feigheit, und abermals trat vor Augen mir dieses Bild, der Engel Gabriel behütet in seinem Hause, an der Seite seiner liebenden Frau, sie küssen und umfangen sich, ihre Welt eine geschlossene und festgefügte ist, und keinerlei Verwendung haben sie weder für Salach noch für seine Zeichnungen und Geschichten, doch alsbald kam mir ein neuer, tröstlicher Gedanke, dass vielleicht der Mann, den ich gesehen, nicht der Engel Gabriel, sondern ein anderer Jude gewesen, da die Juden einander so ähnlich, dass man unter Zehnen keinerlei Unterschied wird finden, umso weniger unter einem Pulk von dreißig oder vierzig jüdischen Reisenden, die am Bahnsteig ausgestiegen.
    Ich galoppierte auf meinem Fahrrad dahin, verlor indes alsbald in der sich herabsenkenden Nacht den Weg, wusste nicht, wo unser Anwesen gelegen, mein Haus, wo meine Hefte, meine Verse und Zeichnungen, in denen meine einzigen Freunde versammelt, bis ich mit einem Mal Mutters Gestalt an einem rostigenTore stehen sah, das in seinen Angeln hin- und herschwang, ihre Gewänder im Wind flatternd.
    Sie umfing mich, zog mich an sich, hob mich vom Rad, zog meine durchnässten Kleider aus und gab mir statt ihrer neue und trockene. Dann stellte sie eine heiße Suppe vor mich hin und wich nicht von meiner Seite, ehe ich diese nicht bis auf den letzten Tropfen ausgelöffelt, und als all dies ausgestanden, wollte ich sie auf die Wange küssen, doch süßlich flüsterte sie, Salach, die Strafe für dein Ungehorsam ist noch nicht vergessen. Ich werde mit deinem Vater sprechen, sobald er von seinen Geschäften außerhalb der Stadt zurückgekehrt. Und jetzt geh auf dein Zimmer, ehe der große Sturm losbricht.

17. Dezember 1895, Neve Shalom
    Heute, zur Nachmittagsstunde, ward mir die Gelegenheit zuteil, Afifa zu treffen, da ihr Mann, der Effendi, mit dem Zug nach Jerusalem gefahren, um dort seinen mannigfachen Geschäften nachzugehen. Ihr Gebaren indes hat verändert sich kolossal: Nun trägt, auf Geheiß ihres Gatten, einen schwarzen Schleier sie, und ihre große Furcht vor ihm hat in ihr blasses Antlitz diverse Fältchen geätzt, die um ihren Mund sich gebildet. Doch wie ich sie entbehrt, so sie auch mich: Die Haare hat ausgerissen sie sich, die Hände gerungen, ihr Herz ward gebrochen und zerbrochen, und als sie mich endlich traf, presste ihre Lippen sie auf die meinen, und ihre Augen bittere Tränen weinten.
    Ich erfuhr, dass ihr Mann von weiteren Reisen in die Fremde abgesehen, da er sich in den letzten Tagen nicht wohlgefühlt, eine Art Konvulsion über ihn gekommen sei und sonderbareSchmerzen, oder weiß der Teufel was, und dass er nun den Rat der besten und bekanntesten Doktoren im Heiligen Lande wünsche oder zumindest in seinem Land und seiner Heimat zu ruhen gedenke, bis die Krankheit seinen Körper wieder verlassen.
    Ich meinerseits hob an, ihr von dem Gebot zu predigen, den Ehemann zu lieben und in der Stunde der Not ihn zu umsorgen, doch hatte sie keinerlei Verwendung für all die süßen, tröstlichen Worte, mit denen ich sie überhäufte.

Weitere Kostenlose Bücher