Das Haus der Rajanis
ihnen, nichts als die Asche einiger windschiefer Behausungen und schwarze Kreise aus versengtem Stroh und verbrannten Blättern.
Spätwinter – Frühsommer 1896
10. Februar 1896, Neve Shalom
Ein Unheil jagt das nächste, und Sorge reiht an Sorge sich.
Gegen Abend kehrt ich heute früher als für gewöhnlich nach Hause zurück, nachdem ich zuvor in den Räumen der Chowewei Zion in der Bustrus-Straße vorstellig geworden, diese um Rat zu fragen. Doch als ich unserem Haus mich näherte, gewahrte ich, dass dessen Tür ein wenig offen stand, und sogleich entzündete in mir sich ein Verdacht, dessen Natur ich nicht einmal erraten mochte. Auf Zehenspitzen schlich heran ich und postierte in einem Winkel mich, und schon drang die Stimme der gnädigen Frau an mein Ohr, doch bemühte nicht sie die französische Sprache, wie mit den arabischen Klienten sie sonst zu tun pflegt, sondern spaßte absonderlicherweise auf Russisch. Und eine Männerstimme antwortete mit schmeichlerischer Süße ihr – die Stimme meines Freundes und Kumpanen Wilder Ochs.
Ich verharrte dort, da durch die Türe vernehmlich das Geräusch saugender und schmatzender Lippen zu hören war.
Groll und Wut kamen in mein Herz gegen diesen niederträchtigen Gesellen, der als Freund sich ausgegeben, als Kamerad und Gefährte sich geriert, indes wie eine Natter unter Reisern und Dornen nicht zaudern würde, sein Gift selbst gegen jene zu versprühen, die ihm wohlgesonnen. Als hätt der vielen Tage er vergessen, an denen freigebig ich ihn mit reichlich Speis und Trank versorgt, seinen Ochsenbauch zu füllen, und als wär die brüderliche Nähe, die ich ihm gewährt, bloß Makulatur, war hergegangendieser Mann im Schutze der Dunkelheit, meine Abwesenheit von zu Hause schamlos ausnutzend, um nach dem Körper der gnädigen Frau zu gelüsten, der schönsten aller Frauen.
Wutentbrannt stürmte ins Haus ich und fand die beiden über ein Blatt Papier gebeugt, einander an den Händen haltend und unverdrossen spaßend und scherzend.
Ich sagte: «Was geht hier vor, in meines Hauses Räumen?»
Der Wilde Ochs winkte gönnerhaft mir zu und sagte: «Estherika hilft mir, eine fehlende erste Zeile für dieses Poem zu finden, das dieser Tage ich zu vollenden gedenke:
La la la la la la la
Diese Hoffnung aus alter Zeit:
Heimzukehren in unser Vorväter Land,
die Stadt, in der Davids Zelte aufgereiht …»
Die gnädige Frau tat den Mund nicht auf und stand errötet da.
Sogleich sagte ich zu ihm, mein Gesicht bleich vor Ärger: «Nimm deine Feder und deine Tinte und verlass dieses Haus, um nie wiederzukehren.»
Über seinem mächtigen schwarzen Bart riss der Wilde Ochs die Äuglein auf und sagte: «Mein Freund, um nichts anderes haben wir uns bekümmert als meine Verse und diese fehlende Zeile, auf die wir gesonnen.»
Ich sagte: «Nimm deine Reime, dein Sinnen und deine Küsse und sieh, dass du fortkommst.»
Abermals schwor er bei allem, was ihm teuer, dass die gnädige Frau er nicht begehrt, und dies auf eine derart überzeugende Weise, dass die besten Schauspieler der Wiener Opernbühnen ihn gewisslich darum beneidet.
Noch einmal befahl ich ihm, mein Haus zu verlassen und dieFinger von meinem geliebten Eheweib zu lassen, gab ihm meine besten Wünsche mit auf den Weg, er möge seine verfluchten Poeme niemals vollenden, weder deren erste noch deren letzte Zeile, und fügte noch eine saftige Schmähung auf Russisch hinzu.
Der Ochs senkte den Kopf und verließ wortlos das Haus. Die gnädige Frau indes schloss in ihrer Klinik sich ein, von Schuldgefühlen geplagt.
Sonderbarer Lärm weckte aus meinem Schlaf mich an diesem Morgen, ein tiefes Gestöhn und Gebrüll, und ich ergriff den spitzen Dolch, den unter meinem Kopfkissen ich verborgen halte, den Verderben bringenden Engel damit zu morden, und stieg hinab ins Erdgeschoss, und siehe da, es war Mutter, die dort brüllte: «Geh weg, du Hure, lass mich, du
Sharmuta
und Tochter einer
Sharmuta
!» Und unsere Dienerin Amina rang mit ihr, versuchte, mit ihren groben, kräftigen Händen sie niederzudrücken, während ich mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen vor dem Schmutz der Welt stand, vor deren sonderlichen Kapriolen, die ein ums andere Mal mich mit ihrer hässlichen Niedertracht zu überraschen vermochten, denn die beiden Frauen schlugen wahrlich einander, Amina ohrfeigte Mutters Wangen und sagte ihr, sie möge sich beruhigen, derweil Mutter sie eine Kuh rief, eine Hündin, einen Wurm, ihr ins Gesicht spuckte und
Weitere Kostenlose Bücher