Das Haus Der Schwestern
sein. Sie hatte versprochen, sich um das Essen zu kümmern, und saß pflichtbewußt in der Küche und schälte Kartoffeln.
»Guten Tag«, sagte John, als er eintrat. »Es tut mir leid, daß ich einfach so hereinschneie, aber auf mein Klopfen an der Haustür hat niemand reagiert.«
Frances schaute nur kurz auf. »Ich habe nichts gehört.«
»Tja«, meinte John.
Unschlüssig blieb er mitten in der Küche stehen. Er trug einen hellgrauen Anzug und eine Krawatte. Frances wußte, daß sie in ihrem alten blauen Baumwollkleid schäbig neben ihm wirkte. Wäre er betrunken gewesen, hätte sie sich dennoch überlegen fühlen können, aber er war ganz offensichtlich nüchtern. Elegant und nüchtern. Sie hatte vergessen, wie gut er aussah, wenn seine Tränensäcke unter den Augen nicht angeschwollen waren und ihm keine dicken Schweißperlen auf der Stirn standen.
»Wo sind die Kinder? fragte er.
Frances zuckte die Schultern. »Weiß nicht. Ich glaube, draußen. Ich habe seit Stunden nichts von ihnen gehört.« Sie wies auf einen Stuhl, der ihr gegenüber am Tisch stand. »Wenn du dich setzen magst ... Ich muß leider mit den Kartoffeln weitermachen, sonst haben wir später kein Abendessen.«
»Laß dich nicht von mir stören«, sagte John.
Er setzte sich. In seinem Anzug wirkte er neben dem Haufen Kartoffelschalen ziemlich deplaziert.
»Marguerite erzählte mir, daß sie mit dir gesprochen hat«, sagte er. »Sie denkt natürlich, Victoria sei das Problem.«
»Ist sie das nicht?«
»Für mich nicht, nein.«
»Du solltest dir ein paar mehr Gedanken um sie machen. Es wird ein furchtbarer Schlag für sie sein.«
»Lieber Himmel, Frances, wir sind geschieden! Sie wollte die Trennung genauso wie ich. Sie kann nicht erwarten, daß ich für den Rest meines Lebens allein bleibe. Ich hätte ja auch nichts dagegen, wenn sie wieder heiraten würde. Was kann ich dafür, daß sie sich hier auf der Farm vergräbt und niemanden mehr ansieht?«
»Ach, John, jetzt machst du dir etwas vor, und das weißt du auch. Sie hat die Trennung von dir nicht wirklich gewollt. Du hast sie nur so schlecht behandelt, daß ihr am Ende gar nichts anderes übrigblieb. Sie ist daran zerbrochen. Natürlich verpflichtet dich das nicht zu lebenslanger Enthaltsamkeit, aber du solltest die Dinge auch nicht vereinfacht darstellen. An Victoria bist du durchaus schuldig geworden.«
Er verzog ärgerlich das Gesicht. »Und du etwa nicht? Jahrelang hast du ...«
»Ich weiß. Im Unterschied zu dir versuche ich jetzt aber im nachhinein nicht, mich von allem reinzuwaschen. Meine Schuld gestehe ich mir ein.«
John trommelte unruhig mit den Fingern auf der Tischplatte. "Jedenfalls wollte ich dir erklären...«
»Du bist mir keine Erklärung schuldig.«
»Herrgott, ich weiß, daß ich das nicht bin. Und trotzdem wollte ich es dir erklären.«
Sie merkte, daß sie viel zu erregt an den Kartoffeln herumschnippelte. Wenn sie nicht aufpaßte, würde sie sich noch in die Finger schneiden. Sie bemühte sich, langsamer und ruhiger zu arbeiten.
»Ich habe das Gefühl, mir wird noch eine Chance gegeben«, sagte John, »und ich will sie nutzen.«
»Die Chance heißt Marguerite?«
»Ich war ziemlich kaputt. Einsam, verbittert. Und ein Trinker. Noch ein paar Jahre, und ich hätte mich zu Tode gesoffen.«
»Du hast dem Alkohol abgeschworen?«
Er nickte. Ein Ausdruck von Stolz glitt über sein Gesicht. »Ja. Und ich glaube, ich schaffe es. Ich will nicht, daß mein Kind, wenn es zur Welt kommt, als erstes einen betrunkenen Vater sieht.«
Sie zuckte zusammen. Sie hatte es gewußt. Aber ihn von dem Kind sprechen zu hören, kam sie hart an. Das Kind war Marguerites Trumpf.
Ihr fiel ein, daß er schon bei Charles’ Beerdigung ein Jahr zuvor nicht betrunken gewesen war. Damals hatte er deutliche Entzugserscheinungen gehabt, hatte gezittert und war grau gewesen im Gesicht. Heute war ihm nichts anzumerken. Den schlimmsten Punkt mußte er überwunden haben. Vielleicht schaffte er es wirklich. Sie wußte, sie müßte sich freuen. Aber auch wenn sie deswegen kleinlich war und schlecht, es gelang ihr nicht. Für Marguerite hatte er aufgehört mit dem Trinken. Für sie nicht.
Aber hast du je darum gekämpft? fragte sofort eine innere Stimme. Dir war es doch ziemlich gleichgültig, ob er trinkt oder nicht. Ging es dir nicht vor allem darum, Victoria auszustechen? Du wußtest, daß sie immerzu an ihm herumnörgelte wegen des Alkohols. Also warst du die Toleranz in Person, der
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