Das Haus Der Schwestern
Frau für mich gewesen, aber ...« Er hob die Hände, ließ sie resigniert sinken. Wozu es noch einmal durchkauen?
»Vielleicht hätten wir heute fünf Kinder und bereits die ersten Enkel«, sagte Frances.
John lachte. »Wir wären eine große, lärmende, glückliche Familie. Du würdest Socken stricken für die neuen Babys und unsere Töchter in ihren Eheproblemen beraten.«
»Und du würdest trinken gehen mit unseren Söhnen. Und ihr würdet euch schrecklich in die Haare geraten, wenn sie andere politische Ansichten verträten als du.«
»Unsere Söhne wären wahrscheinlich nicht hier. Sie würden verheizt im Kampf gegen Hitler.«
»Besser, daß wir keine haben.«
»Ja«, sagte John, und dann stand er auf, kam um den Tisch herum, blieb vor Frances stehen und nahm ihre Hände. Sie starrte auf seine Finger. Wie oft hatten diese Finger sie zärtlich berührt.
»Ich möchte, daß du etwas weißt«, sagte er. »Ich möchte, daß du weißt, daß ich dich liebe. Um nichts weniger als damals am River Swale, wenn ich kommen und dich trösten mußte. Es hat sich nichts geändert. Ganz gleich, was ich tue. Ganz gleich, was du tust. Egal, wie viele graue Haare wir bekommen haben inzwischen und wie viele Verletzungen wir einander zugefügt haben. Nichts davon ist wichtig. Nichts bringt uns auseinander.«
Sie nickte, aber seine plötzliche körperliche Nähe löste Gefühle in ihr aus, die sie hilflos machten, und schon strömte das Gift der Eifersucht jäh durch sie hindurch.
»Warum Marguerite?« fragte sie. »Weil sie so hübsch ist? Und fast zwanzig Jahre jünger als ich?«
Er schüttelte ärgerlich den Kopf. »Frances! Ich denke, du kennst mich besser. Marguerite ist jung und hübsch, aber eine sehr hübsche Frau habe ich schon gehabt, und es ging schief. Marguerite ist wichtig für mich, weil sie mich wirklich versteht. Sie ist nicht nur ein dummes Püppchen mit einem netten Lächeln und langen Wimpern. Mein Leben war aus dem Tritt geraten nach dem letzten Krieg. Marguerites Leben ist ebenfalls völlig aus seiner Bahn geschleudert worden. Sie hat ihren Mann und ihre Heimat auf schreckliche Weise verloren. Sie hat ihre Alpträume, so wie ich meine. Sie versteht es, wenn ich schweige, und sie versteht es, wenn ich reden will. Und ich verstehe es bei ihr. Vielleicht ist es das, was man mehr sucht als Leidenschaft, wenn man nicht mehr jung ist: Verständnis. Es ist auf jeden Fall das, was ich suche.«
Sie nickte, und als er sie in seine Arme zog, verjagte sie die quälenden Bilder und Gedanken, die in ihrem Kopf umherschwirrten. Sie überließ sich seinen beruhigenden Worten, auch deshalb, weil sie fühlte, er hatte die Wahrheit gesagt, zumindest die Wahrheit, wie er sie empfand. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter.
Nur für einen Moment, dachte sie, nur für diesen Moment.
»Gott, wie ich dich liebe«, sagte er dicht an ihrem Ohr.
Sie öffnete die Augen. Sie sah über seine Schulter hinweg zur Tür. Sie blickte in das gehässige, schlaue Gesicht von Marjorie Selley.
Marjorie beteuerte später, um nichts in der Welt habe sie lauschen wollen. Sie habe sich auch keineswegs angeschlichen. Sie sei völlig normal ins Haus hereingekommen.
»Und warum?« fragte Frances mit vor unterdrückter Wut zitternder Stimme.
»Was — warum?« fragte Marjorie zurück.
»Warum bist du überhaupt ins Haus gekommen?«
»Ich hatte Durst. Ich wollte mir ein Glas Wasser in der Küche holen. Aber dann ...«
»Was dann?«
»Sah ich Sie und John Leigh. Er stand dicht vor Ihnen und hielt Ihre Hände fest. Er sagte, er liebt Sie.«
»Und da kamst du nicht auf die Idee, dich bemerkbar zu machen? «
»Ich stand wie angewurzelt«, behauptete Marjorie. »Können Sie das nicht verstehen? Ich war sehr, sehr überrascht. Ich hatte ja keine Ahnung, daß Sie und John Leigh ...«
Und ob du die hattest, du falsches, kleines Biest, dachte Frances, du hast an deinem ersten Tag hier, an Charles’ Bett, schon mehr mitbekommen, als du solltest.
Die Unterhaltung fand viele Stunden, nachdem Marjorie in die Küche gekommen war, statt, und eine Stunde nach dem entsetzlichen Eklat während des Abendessens. Zum erstenmal hatte Frances ihrem schon lange schwelenden Herzensbedürfnis nachgegeben und Marjorie geohrfeigt, was ihr selbst zwar ein wenig Erleichterung verschafft, ansonsten aber nichts mehr gerettet hatte.
Als sie Marjories ansichtig geworden war, unten in der Küche, hatte sie John von sich weggeschoben und mit einer Stimme, die ihr
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