Das Haus Der Schwestern
hingefallen. Es ist nicht schlimm. Mutter, Mrs. Leigh hat gesagt, John darf nicht mehr mit mir spielen. Weil ich ein halbes Bauernmädchen bin. Und sie versteht nicht, warum Vater dich geheiratet hat!«
»Das hat sie zu dir gesagt?« fragte Charles ungläubig.
Frances senkte schuldbewußt den Kopf. Sie wußte, daß es sich nicht gehörte, zu lauschen. »Ich habe gehört, wie sie es zu Mr. Leigh gesagt hat.«
»Das ist unglaublich!« Charles’ Gesicht war rot geworden vor Zorn. Mit raschen Schritten ging er zur Tür. »Ich werde sofort Arthur aufsuchen und ihm erklären, was ich von ihm halte!«
»Nicht, Charles!« Maureen griff nach seinem Arm. »Du änderst damit nichts. Wir wissen, daß die Leute alle in dieser Art über uns reden. Wir sollten es überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen!«
»Ich will nicht, daß die Kinder darunter leiden!«
»Sie werden damit konfrontiert werden, das kannst du nicht verhindern.« Maureen strich Frances durch das Haar. »Das einzige, was wir tun können, ist, ihnen genügend Selbstvertrauen zu geben, damit sie immer auf sich und ihre Familie stolz sind.«
Maureen war dreizehn Jahre alt gewesen, als ihre Mutter Dublin den Rücken gekehrt und mit ihr nach England ausgewandert war.— Kate Lancey hatte längst die Rolle des Familienernährers übernommen, denn ihr Mann hatte seine Arbeit verloren; und wenn er hin und wieder doch eine Stelle fand, flog er nach spätestens zwei Tagen wegen ständiger Trunkenheit erneut hinaus. Kate ging von morgens bis abends zum Putzen in ein Krankenhaus, und an den Wochenenden half sie als Köchin bei wohlhabenden Familien aus, die für ihre großen Abendessen eine Aushilfe brauchten.
Dennoch hatte, solange Maureen zurückdenken konnte, das Geld nie gereicht. Die Lanceys lebten in einer kleinen, feuchten Wohnung in den Slums von Dublin, einer trostlosen Ecke, die aus Straßen voller Pfützen und Unrat und gleichförmigen, schmutziggrauen Häuserzeilen bestand. Die meisten Wohnungen hatten nur zwei Zimmer, manchmal eine winzige Küche, aber meist wurde im Wohnraum gekocht. In diesen engen Behausungen lebten oft sechs-oder siebenköpfige Familien, und im Vergleich zu ihnen hatten es die Lanceys, die nur zu dritt waren, noch gut. Die Eltern besaßen ihr eigenes Schlafzimmer, eine kleine Kammer mit schiefem Fußboden, die nach Norden ging und nie richtig hell wurde. Maureen hatte nachts das Wohnzimmer für sich und bekam ihr Bett auf dem durchgesessenen Sofa eingerichtet. Manchmal fühlte sie sich recht allein und hätte gerne Geschwister gehabt, aber Kate wies jede diesbezügliche Bitte sofort weit von sich.
»Der größte Fehler in meinem Leben war, daß ich deinen Vater geheiratet habe«, sagte sie immer, »aber ich werde diesen Fehler bestimmt nicht noch schlimmer machen, indem ich nun auch noch ein Kind nach dem anderen bekomme. Kannst du mir verraten, wovon die alle satt werden sollen? Außerdem würden wir einander hier nur auf den Füßen herumstehen!«
Kate sprach immer sehr verächtlich von den Leuten in der Nachbarschaft, die sich »wie die Kaninchen« vermehrten und ihrer Ansicht nach ihr Elend damit nur verschlimmerten. Sie selbst hielt sich ihren Mann energisch vom Leib, aber Dan Lancey kam ohnehin meist viel zu betrunken nach Hause. Bei den seltenen Gelegenheiten, da er sich nüchtern und stark genug fühlte, seine Frau sexuell beglücken zu wollen, wies sie ihn so scharf zurück, daß er sich verschüchtert in eine Ecke verzog. Er war ein schwacher und gutmütiger Mensch, seiner Trunksucht völlig ausgeliefert und nicht im mindesten in der Lage, für eine Familie zu sorgen - aber er wurde nie gewalttätig, weder gegen Kate noch gegen Maureen. Das war der Grund, weshalb Kate es so lange mit ihm aushielt. Sie bekam mit, wie es in den Nachbarsfamilien zuging, und ihr war klar, daß sie mit Dan nicht den schlechtesten Griff getan hatte.
Aber oft lag sie nachts wach, weil die Sorgen sie nicht schlafen ließen. Die Miete mußte bezahlt werden, das Essen, sie brauchten Holz für den Ofen. Maureen wuchs aus ihren Kleidern heraus, und ihre Schuhe hielten kaum noch; für den Winter würde sie neue haben müssen. Und neben ihr schlief Dan seinen Rausch aus ...
Dan ging schon morgens zu früher Stunde ins Pub und kehrte erst abends zurück. Natürlich brauchte er Geld für die Unmengen an Schnaps, die er konsumierte. Von Kate bekam er nichts, und sie achtete auch darauf, daß nie Geld in der Wohnung lag, von dem er sich selbst hätte
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