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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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der Mitbegründerin der WSPU.
    »Sie gefällt mir«, flüsterte sie.
    »Wir sorgen jetzt dafür, daß man uns ernst nimmt«, sagte Sylvia Pankhurst, » und wir werden es auch in Zukunft tun. Es gibt durchaus manches, das wir von den Männern übernehmen sollten — die Erkenntnis etwa, daß tiefgreifende Veränderungen in den meisten Fällen nur mit Gewalt herbeizuführen sind. In der ganzen Geschichte der Menschheit haben Männer für die Durchsetzung ihrer Ziele zu den Waffen gegriffen. Sie hatten Erfolg damit. Und wir werden nun beweisen, daß wir daraus gelernt haben. Wir greifen nun auch zu den Waffen. Wir bitten nicht länger, wir kämpfen. Es wird weiterhin Straßenschlachten geben, und es wird Blut fließen. Sie werden uns in die Gefängnisse sperren, und wir werden dennoch weitermachen. Und wir werden gewinnen!«
    Minutenlanger Beifall folgte ihren Worten. Alice nahm Frances’ Arm. »Kommen Sie. Es werden noch mehr Reden gehalten, aber im Moment möchte ich lieber mit Ihnen sprechen. Lassen Sie uns ein Stück laufen, ja?«
    Sie drängten sich aus der Gruppe. Frances entdeckte einige Polizisten, die, mit Helmen und Schlagstöcken gewappnet, die Demonstrantinnen scharf beobachteten.
    Alice schnaubte verächtlich. »Schauen Sie nur! Als gingen sie auf Verbrecherjagd! Und ich sage Ihnen, die hoffen geradezu auf einen Grund, eingreifen zu können. Es ist unwahrscheinlich, wieviel Aggressionen Männer gegen Frauen entwickeln, die gegen sie aufbegehren.«
    Sie hatten sich weit genug entfernt, um Miss Pankhurst nicht mehr zu hören, und gingen nun einen schmalen, schattigen Weg entlang. Die Sonne fiel schräg durch die Blätter über ihnen und zeichnete ein filigranes Muster auf die trockene Erde.
    »Wie geht es George?« fragte Frances. »Wir haben nichts mehr von ihm gehört seit jenem Abend.«
    »Er hat seinen Abschluß mit sehr guten Noten gemacht«, sagte Alice, »und bereitet sich nun für die Aufnahmeprüfung in Sandhurst vor. Er hofft auf ein Stipendium, weil er kein Geld mehr von seinem Vater annehmen möchte.«
    Sandhurst war eine Militärakademie. Frances nickte. »Er wird das schaffen. Wohnt er bei Ihnen zur Zeit?«
    »Ja. Vorübergehend.« Alice musterte Frances eindringlich. »Und Sie? Was tun Sie in London?«
    »Ich lebe bei der Schwester meines Vaters. Seit Juni schon. Ich hatte mir von London irgend etwas Großartiges versprochen, aber bisher habe ich nur unter der Hitze gelitten und ziemlich mit dem Heimweh gekämpft.«
    »Warum machen Sie nicht bei uns mit?« fragte Alice ohne Umschweife. »Sie sind doch für das Frauenstimmrecht?«
    Sie wartete die Antwort nicht ab, sondern kramte aus ihrer Tasche einen Stift und einen Notizblock. Sie kritzelte etwas, riß dann das oberste Blatt ab und reichte es Frances. »Meine Adresse. Kommen Sie einfach vorbei. Ich würde mich freuen. Und George auch.«
    Überrumpelt ergriff Frances den Zettel. »Als ich vorhin dort stand und zuhörte«, sagte sie, »unterhielten sich neben mir ein paar Männer. Sie zogen über Miss Pankhurst her und auch über andere Frauen. Es war nicht einfach so, daß sie eine andere Meinung hatten oder anders über diese Fragen dachten. Das Schlimme war, mit welcher Verachtung, mit wieviel Haß sie sprachen. Es war primitiv und abstoßend. Und irgendwie fühlte ich mich erniedrigt in diesem Moment.«
    Alice lächelte. »Sie sind noch sehr jung. Sie werden lernen, sich nicht mehr so zu fühlen. Sie werden begreifen, daß solche Leute sich selbst in den Dreck ziehen, nicht uns. Frances, ich verspreche Ihnen, Sie werden ein dickes Fell bekommen, und es wird Sie nicht mehr interessieren, was andere von Ihnen denken!«

    Als sie am späten Nachmittag den Heimweg antrat — schuldbewußt, weil Margaret sich sicher schon Sorgen machte —, fragte sie sich, ob sie wohl jemals diese unumstößliche Selbstsicherheit einer Alice Chapman erlangen würde. Manchmal hatte sie das Gefühl, daß sich die Antworten um so weiter von ihr entfernten, je drängender sie fragte. Sie war vor John davongelaufen, weil sie die Enge einer Ehe fürchtete. Sie war nach London gekommen, um sich klarzuwerden, was sie wirklich wollte. Aber sie spürte in sich mehr Verwirrung als je zuvor.
    Alice faszinierte sie. Diese junge Frau verfolgte ein Ziel mit eiserner Konsequenz, unbekümmert darum, daß sie Scherben auf ihrem Weg hinterließ. Frances hatte nicht den Eindruck, daß es ihr Kopfzerbrechen bereitete, George und seinen Vater auseinandergebracht zu haben. Hätte

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