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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Tories, die in der Frauenbewegung eine schreckliche Ausuferung des ohnehin äußerst gefährlichen, fortschreitenden Liberalismus sahen und die die Frauenrechtlerinnen der Unterstützung des Weltsozialismus verdächtigten.
    Frances mischte sich in die Debatten selten ein, aber sie hörte sehr genau zu. Wenn der Abend später wurde und der Wein die Zungen immer mehr löste, begannen sich die Herren anzügliche Witze zu erzählen; oder sie flüsterten einander bestimmte Stellen aus den derb-erotischen Balladen Swinburnes zu, der im Jahr zuvor gestorben war, sich aber zu Lebzeiten für den in konservativen Kreisen so hart verurteilten Liberalismus stark gemacht hatte. Dieselben Herren, die zuvor dafür plädiert hatten, Frauenrechtlerinnen und Kommunisten ausnahmslos ins Gefängnis zu werfen, schienen durchaus bereit, einem Swinburne für gewisse, offenbar recht erregende Gedichte die politische Einstellung zu verzeihen. Die Gesichter röteten sich, die Nasen fingen an zu glänzen, und in ihrem Lachen lagen Lüsternheit und Gier.
    Frances, die dank ihrer derzeitigen geheimen Lektüre äußerst empfindlich auf Anzüglichkeiten reagierte, empfand die Männer häufig als ziemlich verachtenswert und fragte sich immer öfter, weshalb sie sich für geeigneter hielten als Frauen, die politischen Geschicke eines Landes zu kontrollieren. Ihr gingen eine Menge Gedanken im Kopf herum, und auch wenn sie sich oft ärgerte, so bedeuteten diese Abendgesellschaften doch eine willkommene Abwechslung in der Eintönigkeit dieses Sommers.
    Denn es war heiß, und es blieb heiß, und bis zum September geschah nichts.

    Sie traf Alice Chapman am selben Tag wieder, an dem Phillip Middleton bei Tante Margaret einzog.
    Es war Anfang September, und obwohl auch der Spätsommer warm und ungewöhnlich trocken war, hatte die drückende Hitze doch nachgelassen, und das Leben in der Stadt wurde erträglich.
    Margaret hatte am Morgen einen Anruf von einer Freundin bekommen, die sie aufgeregt gebeten hatte, zu ihr zu kommen, da sie ein schweres Problem zu lösen habe.
    »Die gute Anne neigt ein wenig zur Hysterie«, sagte Margaret, während sie vor dem Spiegel in der Eingangshalle ihres Hauses ihren Hut aufsetzte und zurechtrückte. »Aber ich denke, ich gehe doch gleich zu ihr. Kann ich dich allein lassen?«
    Sie wandte sich zu Frances um, betrachtete sie prüfend und strich ihr dann leicht über die Wange. »Du bist so blaß, Kind. Du solltest ein wenig spazierengehen.«
    »Ich bin immer blaß«, sagte Frances, »aber du hast recht. Ich mache einen Spaziergang.«
    Sie wanderte im Hyde Park umher. Männer mit runden Hüten auf dem Kopf saßen auf den Wiesen und machten Mittagspause. Damen spazierten in kleinen Gruppen die Wege entlang, plauderten, flüsterten, lachten. Zwei junge Hunde tobten wild hintereinander her, mit fliegenden Ohren und lautem Gekläffe. Kinder ließen ihre Kreisel tanzen. Die Blätter an den Bäumen färbten sich in ihren Spitzen bereits bunt. Zum erstenmal spürte Frances an diesem Tag nicht das schmerzende Heimweh, das ihr den Sommer vergällt hatte. Sie dachte plötzlich, daß es sich auch in London gut leben ließe.
    Sie registrierte, daß sich in einiger Entfernung eine größere Menschenansammlung gebildet hatte. Neugierig beschleunigte sie ihren Schritt. Sie schätzte die Menge auf annähernd hundert Personen, die sich beim Näherkommen fast ausnahmslos als Frauen entpuppten. Die meisten schienen den gehobenen Gesellschaftskreisen anzugehören, waren gut und sorgfältig gekleidet. Zwei von ihnen hielten ein Transparent in die Höhe, auf dem in dicken, schwarzen Lettern der Wahlspruch der WSPU geschrieben stand: VOTES FOR WOMEN!
    Die Frauen hatten sich um eine — provisorisch errichtete — Holzplattform gruppiert, auf der eine junge Frau stand und eine Rede hielt. Sie trug ein dunkelblaues, hochgeschlossenes Kleid, sie war sehr schlank und hatte feine Gesichtszüge, die eine große Empfindsamkeit verrieten. Sie konnte noch kaum dreißig Jahre alt sein und hatte bei aller äußeren Zartheit eine überraschend energische Stimme.
    »Seit Jahrhunderten unterstützen wir Frauen die Männer. Wir sorgen für sie, wir hören ihnen zu, wir trösten sie, wir sprechen ihnen Mut zu. Wir kümmern uns um die Kinder und halten die vielen kleinen Probleme des Alltags von ihnen fern. Wir unterstützen sie auf diese Weise in ihrer Arbeit, in ihrer Karriere. Ich denke, es ist an der Zeit, daß wir die Kraft, die wir bislang in den Erfolg und

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