Das Haus Der Schwestern
guten Rasierwasser duftend. Und sie - abgerissen und verwahrlost, in einem zerknitterten, fleckigen Kleid, nach Schweiß riechend, die Haare wirr und verfilzt. Später einmal erzählte ihr John, sie habe ausgesehen wie ein hungriges, räudiges Tier, und selten im Leben habe er sich so erschreckt.
Er schluckte. »Was haben sie mit dir gemacht?« fragte er.
Frances stellte fest, daß es einfacher ging, wenn sie flüsterte. »Sie haben mich zwangsernährt«, hauchte sie, »und ich habe eine Grippe.«
John wurde blaß. »Lieber Himmel«, sagte er.
»Es wird schon wieder«, flüsterte Frances beruhigend.
John sah sie an mit einem Blick voller Sorge und Zärtlichkeit, und plötzlich lächelte er. »Weißt du, daß du eine Berühmtheit hier im Gefängnis bist?«
» Wieso? «
»Soviel habe ich schon mitbekommen: Du bist das Gesprächsthema im ganzen Haus. Du hast einem Wachmann den Finger abgebissen, zumindest fehlte nicht viel dazu. Jeder, der deinen Namen nennt, hat dabei einen schockierten Unterton in der Stimme.«
»Sie haben mich gequält. Deshalb...«
John ließ die Weisung der Aufseherin außer acht, trat wieder dichter an das Gitter heran, streckte die Hand aus und berührte sacht Frances’ Gesicht.
»Dieser Wachmann hat dich gequält?« fragte er leise.
»Er auch, ja.«
»Schade, daß du nicht seine ganze Hand erwischt hast«, sagte John heftig. Sie war gerührt von der Wut in seinen Augen, aber bestürzt mußte sie ansehen, wie seine Wut Ratlosigkeit und Hilflosigkeit wich.
»Warum nur?« fragte er. »Warum?«
Sie wußte, er meinte die Teilnahme an der Demonstration und ihren Leichtsinn, die sie in diese Lage und in diesen erbärmlichen Zustand gebracht hatten.
»Das Komische ist«, sagte sie mit ihrer flüsternden, kaum verständlichen Stimme, »daß ich an der ganzen Sache eigentlich gar nicht beteiligt war. Ich war krank. Ich wollte daheim bleiben.«
»Aber du ...«
»Ich erfuhr, daß eine Freundin von mir verletzt und außerdem festgenommen wurde. Ich wollte zu ihr. Ich wollte sehen, ob ich etwas für sie tun kann. Deshalb bin ich hier gelandet.« Sie zuckte mit den Schultern. »Es war wirklich Pech!«
John paßte sich unwillkürlich ihrem Flüsterton an. »Du hast einen Polizisten schwer verletzt. Du hast ihn mit einem Stein an der Schläfe getroffen. Du hast riesiges Glück, daß er nicht tot ist! «
»Ich war das nicht! Irgend jemand hinter mir hat mit Steinen geworfen.« Sie merkte, daß sie nicht mehr lange würde sprechen können. Ihr Hals schmerzte zu sehr. Müde fügte sie hinzu: »Ich schwöre, ich hab’s wirklich nicht getan! «
»Es wird schwierig sein, das zu beweisen. Du hast eine Anklage wegen schwerer Körperverletzung am Hals, und dazu noch an einem Polizisten. Mein Gott, Frances«, er fuhr sich mit allen Fingern durch die Haare, aufgebracht und resigniert zugleich, »ich kann es einfach nicht verstehen. Warum machst du überhaupt mit diesen Frauen gemeinsame Sache? Ich habe es dir doch gesagt, damals auf Daleview, daß es gefährlich werden würde und daß du dich besser heraushältst! «
Damals auf Daleview ... Wie lange lag dieser sommerheiße Maitag zurück? Ein halbes Leben, so schien es Frances, trennte sie von dem Mädchen, das sie damals gewesen war.
»Man kann sich nicht immer heraushalten «, murmelte sie und dachte gleichzeitig, daß diese Erkenntnis rasch zu einer ganzen Reihe schwerwiegender Probleme im Leben führen konnte.
» Frances, ich bin ja kein Gegner des Frauenwahlrechts«, sagte John, »aber es geht nicht auf diesem Weg. Es funktioniert einfach nicht. Eingeschlagene Fensterscheiben und fliegende Steine sind keine Argumente!«
»Sie zwingen aber, zuzuhören«, flüsterte Frances, und dann lächelte sie entschuldigend. »Ich kann nicht mehr viel reden, John. Mein Hals tut entsetzlich weh.«
Beschwörend sagte er: »Frances, ich kann dich vielleicht hier rausholen. Ich weiß noch nicht, was wir wegen des Verdachts auf Körperverletzung machen sollen, aber vielleicht kann ich über Beziehungen wenigstens dafür sorgen, daß du in ein Krankenhaus kommst. Du siehst wirklich schlecht aus, und ich denke, daß du...«
»Das geht nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil...« Wie sollte sie ihm das klarmachen? »Ich kann das nicht tun. Die anderen müssen ja auch hier drin bleiben.«
»Aber die haben auch demonstriert. Du nicht. Du sagtest doch selbst, du bist im Grunde ganz zufällig in den ganzen Schlamassel hineingeraten!«
Ihre Augenlider brannten. Es war,
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