Das Haus Der Schwestern
war.
Im Krankenhaus besuchte sie Margaret, eine Margaret, die massenhaft Gewicht verloren hatte und beim kleinsten Anlaß in Tränen ausbrach. Phillip saß an Frances’ Bett, sooft es ihm erlaubt wurde. George erschien; er trug die Uniform der Militärschule von Sandhurst, und Frances, durch fiebrige Tagträume irrend, erkannte ihn nicht. Er erzählte, daß Alice aus der Haft entlassen worden sei, aber man habe sie ebenfalls zwangsernährt, und es gehe ihr psychisch sehr schlecht. Später erst drang diese Information in Frances’ Bewußtsein vor. Sie wußte auch nicht, daß sie immer wieder nach ihrer Mutter rief, daß Maureen jedoch nicht kam. Manchmal sah sie das gütige, schmale Gesicht eines grauhaarigen Mannes über sich, und dann dachte sie für ein paar Sekunden voller Freude, es sei ihr Vater. Aber trotz des ständigen Nebels, der sie umgab, erkannte sie dann doch immer wieder, daß es sich nicht um Charles handelte, sondern um den Arzt, der sie betreute.
Nun, er wird kommen, bald, dachte sie mit der unverbrüchlichen Hoffnung eines Kindes, das noch nicht weiß, wie wenig geneigt das Leben oft ist, brennende Wünsche zu erfüllen.
Ihr Vater kam tatsächlich, aber es war nicht so, wie Frances es sich ersehnt hatte. Er erschien kurz nach Weihnachten, an dem Tag, an dem Frances zum erstenmal ihr Bett verlassen durfte und am Arm einer Schwester auf puddingweichen Beinen einige erste Gehversuche unternahm. Zehn Tage zuvor war ihr Zustand so kritisch gewesen, daß der Arzt ihr gesagt hatte, er habe nicht mehr geglaubt, sie werde es überleben. Sie war abgemagert bis auf die Knochen, ihre Augen lagen in dunkel umrandeten Höhlen, ihr Gesicht war gespenstisch bleich. Sie fühlte sich viel zu schwach, um aufzustehen, aber die Schwester sagte, es sei gefährlich, wenn sie noch länger liegenbliebe. So schleppte sie sich den langen Krankenhausflur hinauf und wieder hinunter, und so elend ihr zumute war, sie spürte doch, wie sich erste Kräfte zaghaft ihren Weg zu bahnen suchten. Ihr Überlebenswille, den die Krankheit zuletzt fast gebrochen zu haben schien, erwachte wieder. Sie biß die Zähne zusammen. Sie würde laufen. Sie würde essen. Sie würde gesund werden. Dann konnte sie sehen, wie es weiterging.
Sie glaubte, ihren Augen nicht trauen zu können, als sie Charles den Gang entlang auf sich zukommen sah. Sie ließ den stützenden Arm der Krankenschwester los und ging ihm mit unsicheren Schritten entgegen.
»Vater!«
Er konnte sie gerade noch auffangen, ehe ihr die Knie nachgaben. Sie lag in seinen Armen, roch den tröstlich vertrauten Geruch - ein wenig Rasierwasser, ein wenig Zigarre, ein wenig Whisky - und hatte das Gefühl, nach sehr langer Zeit wieder daheim angekommen zu sein.
»Ist Mutter auch da?« fragte sie schließlich und hob den Kopf. Nun erst sah sie ihm bewußt ins Gesicht, und sie erschrak vor dem fremden, distanzierten, beinahe feindseligen Ausdruck in seinen Augen. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück, aber sie hatte ihre Schwäche unterschätzt. Sie schwankte sofort wieder. Er griff nach ihrem Arm und hielt sie fest.
»Ich habe mit dem Arzt gesprochen«, sagte er, »er erlaubt, daß du das Krankenhaus verläßt. Er meint, daß du in einer vertrauten Umgebung am schnellsten wieder zu Kräften kommen wirst.«
»Du meinst, daheim auf der Westhill Farm?«
Charles schüttelte den Kopf. »Das wäre im Moment eine viel zu lange Reise. Margaret ist bereit, dich erneut bei sich aufzunehmen - trotz allem, was du ihr angetan hast.« Seine Stimme klang scharf bei diesem letzten Satz, und auf einmal bemerkte Frances, daß seine kühle Reserviertheit aufgesetzt war. In Wahrheit erfüllte ihn eine heftige Wut, und er mußte sich bemühen, zumindest höflich zu bleiben.
Die Schwester, die sich diskret im Hintergrund gehalten hatte, trat heran. Sie lächelte glücklich. »Ich wußte, daß Ihr Vater heute kommt und Sie abholt«, sagte sie, »aber ich dachte, wir überraschen Sie damit. Das ist uns geglückt, denke ich.«
Sie strahlte unbefangen. Frances riß sich zusammen. »Tatsächlich«, sagte sie, bemüht um ein Lächeln, »ich habe nicht damit gerechnet.«
»Kommen Sie, ich werde Ihnen helfen, sich anzuziehen und Ihre Sachen zusammenzupacken«, sagte die Schwester und nahm ihren Arm. Charles schien erleichtert, seine Tochter loslassen zu können.
»Ich werde hier warten.« Er bemühte sich nicht um ein Lächeln. »Laß dir Zeit«, fügte er noch hinzu.
Frances quälte sich in ihr
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