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Das Haus der Sonnen

Das Haus der Sonnen

Titel: Das Haus der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds , Norbert Stöbe
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auch ohne gegangen. Betonie war mit Sicherheit in vorderster Front, als die Idee aufkam, ein neues Entscheidungsquorum zu bilden. Es würde mich nicht wundern, wenn er den Vorschlag selbst vorgebracht hätte. Wozu brauchen wir überhaupt ein Quorum? Entscheidungen kann auch die Allgemeinheit treffen – jetzt besser denn je.«
    »Die anderen werden ihn schon in Schach halten. Wir haben immer noch Freunde. Hast du bemerkt, wie einhellig die Reaktion ausgefallen ist, als ich um die Erlaubnis gebeten habe, die Magistratin besuchen zu dürfen? Die Hälfte der Anwesenden stand hinter mir.«
    »Hm.«
    »Was soll das bedeuten?«
    »Eigentlich gar nichts. Ich frage mich nur, ob die Reaktion tatsächlich so einhellig ausgefallen ist, wie du meinst.«
    »Wie soll ich das sonst verstehen?«
    »Es könnte sein, dass einige hoffen, du könntest eine Bauchlandung machen, wenn man dir den Zugang zum Geist verweigert. Es würde mich auch nicht wundern, wenn der eine oder andere hoffen würde, dass du dich zum Narren machst, wenn du Zugang erhältst.«
    »Aber niemand wünscht mir den Tod.«
    »Nein«, sagte Campion. »So schlimm sind sie nicht. Einige mögen uns nicht, aber sie sind trotzdem unsere Verwandten. Ich würde keinem anderen gentianischen Splitterling den Tod wünschen, und ich glaube, die anderen sehen das nicht anders.«
    »Hoffen wir’s. Aber ich mache mir trotzdem noch immer Sorgen wegen der Rüge. Das ist, als würde ein Damoklesschwert über mir hängen.«
    »Wenn das mit Hesperus gut ausgeht, sind wir unsere Probleme los.«
    »Alle?«
    »Na schön«, sagte Campion, »ein paar. Aber dann wird er sich für uns einsetzen. Wer zweifelt schon an der Aussage eines Maschinenwesens?«
    »Mit anderen Worten, ein Grund mehr, um beim Luftgeist aufs Ganze zu gehen.«
    »Ja, und außerdem ist Hesperus unser Freund, und es wäre schön, wenn wir ihn zurückbekommen würden.«
    »Ich habe mich in der Zwischenzeit informiert. Betonie hat nicht übertrieben – es könnte durchaus sein, dass es gefährlich für uns wird.«
    »Gefährlich ist es, seit man uns ausgebrütet hat.«
    »Das stimmt.« Ich verspeiste das letzte Stück Schokoladenbrot und faltete aus dem Papier eine Origami-Taube. »Danke, dass du an mich gedacht hast. Ganz gleich, was hier geschieht und wie es uns nach Neume ergehen wird, ich bin froh, dass wir zusammen sind.«
    »Ohne dich gehe ich nirgendwo hin.«
    »Wenigstens ist jetzt öffentlich, dass wir ein Paar sind. Die Heimlichtuerei hat ein Ende.«
    Campion schaute ernst drein. »So oder so werden sie uns dafür büßen lassen. Das ist dir hoffentlich klar.«
    Ich hatte die Taube fertiggestellt. Sie bekam mandelfarbene Augen und buntes Gefieder und begann, mit den Flügeln zu schlagen. Ich warf sie in die Luft und beobachtete, wie sie wegflog, um sich recyceln zu lassen. Wir hielten uns bei den Händen, dann umarmten wir uns. »Sollen sie nur machen. Ich bin bereit.«
    Plötzlich läutete es im Zimmer.
     
    Jindabynes Büro befand sich in der Spitze ihres Turms, in einer Kuppel, die Ausblick nach allen Seiten bot. Zwischen den Fenstern zierten Flügel wie Zeremonialsäbel die Wände. Ihre Glasfacetten waren rubinrot, grün und blau getönt und mit ymirischen Schriftzeichen versehen. Außerdem gab es Fotografien und ein paar fremdartige, rätselhafte neumische Kunstwerke, die an Baupläne höllisch komplizierter Gartenlabyrinthe erinnerten. Durch drei der konvexen Fenster sah man ein Stadtpanorama goldener Türme, doch durch das vierte, nach Westen gehende Fenster blickte man auf die silberne Wüste hinaus, wo die unaufhörlich sich verlagernden Dünen sich in serpentinenartigen Wellen bis zum Horizont erstreckten. Es war ein wolkenloser, windstiller Tag, und am Rande meines Gesichtsfelds sah ich einen einzelnen weißen Turm.
    »Das ist eine sehr ungewöhnliche Bitte«, sagte Jindabyne, als wir vor ihrem Schreibtisch Platz genommen hatten. »Ich hoffe, Sie haben Verständnis für unsere Skepsis. Die Familie Gentian hat nie großes Interesse an dieser Welt gezeigt, und jetzt möchten Sie auf einmal Zugang zu unseren größten Geheimnissen haben.« Auf dem Schreibtisch stand ein komplizierter Apparat, der Ähnlichkeit mit einer Wasserpfeife hatte – ein bunt bemalter, zischender und blubbernder Kessel mit Schläuchen und Ventilen. Hin und wieder sog die zartbepelzte Magistratin am Mundstück eines segmentierten Schlauchs. Campion und mir hatte man zwei Tassen dünnen Tee mit Ingwergeschmack hingestellt – das

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