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Das Haus der Sonnen

Das Haus der Sonnen

Titel: Das Haus der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds , Norbert Stöbe
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Goldenen Stunde, ein Mann gewesen. Er hatte Abraham Valmik oder so ähnlich geheißen, hatte über unermesslichen Reichtum verfügt und ein hohes Alter erreicht. Nichtsdestoweniger hatte er mehr vom Universum verlangt, als es ihm bislang geschenkt hatte. Inzwischen hatten sich Abigail und die anderen Familiengründer in Unsereins aufgesplittert, sich für einen Weg zur Unsterblichkeit entschieden und sich daran gemacht, voller Wissensdurst die unbewohnte Galaxis zu erkunden. Vielleicht hatten sich auch schon andere Menschen für einen anderen Weg entschieden und den langwierigen Prozess der Verwandlung begonnen, der Kuratoren der Vigilanz aus ihnen machen würde. Valmik hielt jedoch weder die Zersplitterung noch die Zeitdilatation noch die biologische Transformation für ausreichend erfolgversprechend. Er zog es vor, sich in eine Maschine zu verwandeln und sein Bewusstsein einem Gebilde einzupflanzen, das so unzerstörbar war, wie die Gesetze der Physik es erlaubten. Neuron für Neuron ließ er sein Gehirn auf mechanische Teile übertragen. Da der Prozess schrittweise verlief – eher vergleichbar einer kontinuierlichen Stadtsanierung als einem Abriss mit darauf folgendem Wiederaufbau -, verspürte der Mann keine Veränderung zwischen der Verpflanzung der einzelnen Neuronen. Das bedeutete jedoch nicht, dass er sich seinen Bekannten und Freunden nicht entfremdet hätte, als sein Bewusstsein sich nach und nach in ein vibrierendes Netz künstlicher Neuronen verwandelte.
    Als der Prozess abgeschlossen war, entledigte sich der Mann seines Körpers, da er nichts mehr mit ihm anfangen konnte. Wenn die Umstände es erforderten, vermochte er zwar noch immer ein organisches Nervensystem zu simulieren, doch das geschah nur selten. Er zog es vor, mit dem abstrakten Reich simulierter Erfahrung zu interagieren und nahm es nur selten auf sich, mit den Menschen in Kontakt zu treten, die er in der Außenwelt zurückgelassen hatte. Sie langweilten ihn mittlerweile – ihre Gewohnheiten wirkten auf ihn quälend vorhersagbar, ihre geistigen Prozesse folgten ausgetretenen Pfaden. Er war anders als sie, ein Fisch, der aufs Trockene gesprungen war und festgestellt hatte, dass er noch atmen konnte, während alle anderen im Meer zurückgeblieben waren. Er hatte nichts mehr mit ihnen gemeinsam.
    Jahrhundertelang existierte Valmiks künstliches Bewusstsein in Form einer ortsfesten, eindeutig definierten Architektur. Kopien seiner selbst waren in der Goldenen Stunde und jenseits deren besiedelter Bereiche verteilt, doch die sollten nur dann aktiviert werden, wenn das Primärbewusstsein beschädigt oder ausgelöscht wurde. Im Laufe der Zeit baute er seine Komplexität weiter aus, indem er immer mehr künstliche Neuronen in sein Bewusstsein integrierte, bis deren Zahl die der ursprünglichen Gehirnzellen um einen Faktor von mehreren Hundert übertraf. Inzwischen hatte er sich so weit von allem Menschlichen entfernt, dass er sich nur noch mit anderen weiterentwickelten Bewusstseinsformen verständigen konnte. Eine Zeit lang hielten sie mit ihm Schritt, doch dann ließ er auch sie hinter sich zurück. Sie waren zu vorsichtig und schreckten davor zurück, die letzten Spuren der menschlichen Gehirnstruktur über Bord zu werfen. Sie klammerten sich an die uralte Verschaltung, an die archaischen, überholten Arrangements der sensorischen und kognitiven Module. Die Struktur des menschlichen Gehirns hatte sich schrittweise und zufallsgesteuert entwickelt und dabei die neuen Schichten auf die alten gehäuft. Es glich dem Haus, in dem ich zur Welt gekommen war, den Gängen und Treppen, die nirgendwohin führten, den vernachlässigten Räumen und Fluren, die sich nicht vergrößern ließen, da sie von anderen Räumlichkeiten eingeengt wurden, den Leitungen, die unnötig kompliziert waren, da jede neue Installation um das bereits vorhandene Gewirr verrosteter Rohre und Abflüsse herumverlegt werden musste. Die anderen hatten nicht den Mut, dieses wirre, kopflastige Erbe abzulegen.
    Er schon. Er war tapferer, kühner, hatte weniger Angst, sich selbst zu verlieren.
    Er nahm sich vor, sich neu zu erschaffen und seine Basisarchitektur von Grund auf umzustrukturieren. Kein Teil seines Gehirns sollte dabei ungeprüft bleiben. Knoten sollten begradigt, Module verlegt oder ganz entfernt werden. Das Bewusstsein sollte während dieses Prozesses erhalten bleiben. Wenn die Veränderungen in die radikalste Phase einträten, würde es schwächer wären, aber nicht ganz

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