Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der Sonnen

Das Haus der Sonnen

Titel: Das Haus der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds , Norbert Stöbe
Vom Netzwerk:
ein Spiel war. Beladen mit den Problemen der Person, die sie darstellte, wurde ihr in einem hellsichtigen Moment bewusst, dass sie lediglich an einer Bühnenvorstellung teilnahm und eine Verkleidung angenommen hatte, die sie jederzeit wieder ablegen konnte. In letzter Zeit häuften sich solche Momente. Dann hatte ich das Gefühl, mich in einem Theater zu befinden, und spürte, dass mein Handeln außerhalb der grün verkleideten Wände folgenlos bleiben würde. Bisweilen erschien mir ein Wort oder ein Begriff – Puppenpalast, Bussardkollektor, Kleine Welt – wie der ominöse Schlüssel, der das Tor zu großen, beunruhigenden Geheimnissen zu öffnen vermochte. Zum Glück – denn sie hätten mich leicht von wichtigeren Dingen ablenken können – gingen diese Momente bald wieder vorbei und ließen nur eine schwache Unruhe zurück.
    »Schon gut, Daubenton. Ich wollte nur sagen, dass wir uns nicht darauf verlassen sollten, dass Calidris stärker ist als jeder andere Mensch vor ihm.« Ich zögerte und fuhr mit dem Fingernagel über den scharfen Rand des Briefes. »Es gibt noch eine andere Möglichkeit. Zunächst habe ich sie verworfen, was in Anbetracht des damaligen Stands der Dinge auch richtig war. Jetzt aber hat sich die Lage bedrohlich verschärft, und ich muss neu überlegen. Falls Calidris’ Magie gegen uns eingesetzt werden sollte – wovon ich nun ausgehen muss -, brauchen wir einen gleichwertigen Verbündeten.«
    »Ihr sprecht von Relictus, dem gescheiterten Lehrling.« Das Entsetzen ließ Daubentons bereits blässliches Gesicht noch bleicher erscheinen. »Ich war damals anderer Ansicht als Cirlus, Herrin. Relictus soll bleiben, wo er ist, bis er verrottet.«
    Ich hatte mich mit meiner Vorhersage nicht getäuscht, wenngleich es Monate dauerte, bis wir von seinem Abfall erfuhren. Als die Gespenstersoldaten unsere Leute anzugreifen begannen, gab es keinen Zweifel mehr.
    Graf Mordax’ einzige Schwäche war die Stärke seiner Armee – sie war gut ausgerüstet, gut ausgebildet und befolgte seine Befehle ohne Skrupel, doch aufgrund der zahlreichen Feldzüge und der vielen Angriffe auf die Grenzen des Königreichs war sie überlastet. Unsere eigene Armee war stark, aber (das ließ sich nicht leugnen) weniger effektiv, und es war uns nur aufgrund des zahlenmäßigen Ungleichgewichts gelungen, Mordax in Schach zu halten. Wäre er in der Übermacht gewesen, hätte er keine Geiseln zu nehmen brauchen und wäre auch nicht auf Calidris angewiesen gewesen. Mordax war ein praktisch denkender Mensch, erfahren im blutigen Kriegshandwerk, und hegte eine tief verwurzelte Abneigung gegen die Magie. Gleichwohl hatte ich nie geglaubt, dass er davor zurückschrecken würde, Gebrauch von seinem neuen Gefangenen zu machen, wenn die Umstände es erforderten.
    Die ersten Berichte über Gespenstersoldaten stammten von verängstigten, wenig glaubhaften Augenzeugen. Ein Stoßtrupp hatte ein Dorf niedergebrannt. Die Angreifer, die Fackeln und Spieße schwenkten, waren der übliche, als Räuber verkleidete Haufen. Doch sie kamen nicht allein, und ihre Eskorte, die auf Pferden ritt, die so schlank und so schnell wie Windhunde waren, hielt sich abseits, während die Flammen wüteten. Einer der Männer aber ritt auf einem kräftigeren Pferd und hatte als Einziger das Visier hochgeklappt. Die anderen Reiter trugen kunstvoll gearbeitete Rüstungen; jeder Quadratzentimeter ihres Körpers war gepanzert. Der Mann mit dem offenen Visier trug eine Lederrüstung mit aufgenähten Panzerplatten. Dies war anscheinend der Anführer, auch wenn von ihm keine Befehle zu vernehmen waren.
    Einer der Dorfbewohner schoss in seinem Zorn über sein niedergebranntes Haus mit dem Bogen auf die gepanzerten Reiter. Er schoss sechs Pfeile auf sie ab, doch sie prallten entweder an ihrer Rüstung ab oder drangen in die Gelenkverbindungen ein, ohne Schaden anzurichten. Als die Räuber sich zurückzogen, ritten die gepanzerten Reiter mit ihnen zusammen weg. Der Dörfler ließ nun einen siebten Pfeil von der Sehne schnellen, der jedoch nicht den Reiter, sondern die Flanke seines Pferdes traf. Das Pferd bäumte sich auf und warf den Gepanzerten ab. Er stürzte zu Boden, doch außer dem Klirren von Metall war kein Laut zu vernehmen. Allein der Mann mit dem offenen Visier blickte sich um. Dann schwenkte er den Arm, worauf die anderen Männer ihm nachritten, ohne sich um ihren gestürzten Kameraden zu kümmern.
    Der Dorfbewohner nahm den gestürzten Reiter in Augenschein.

Weitere Kostenlose Bücher