Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der Sonnen

Das Haus der Sonnen

Titel: Das Haus der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds , Norbert Stöbe
Vom Netzwerk:
Beobachtungswinkel sich änderte und die Linie sich in ein unregelmäßiges, ausgefranstes Band verwandelte, das den ganzen Planeten umspannte. Man sah jetzt, dass es sich vor vielen Umläufen einmal um eine zusammenhängende Konstruktion gehandelt hatte. Irgendwann hatte es vielleicht ein Dutzend Aufzüge gegeben, die den Äquator des Planeten mit dem Weltraum verbunden und wie die Speichen eines Rades von Neume zu dem weltumspannenden Band geführt hatten, das zehn- oder elftausend Kilometer über der Planetenoberfläche schwebte. Obwohl inzwischen keiner der Aufzüge mehr zur Oberfläche hinabreichte, ragten einige in die Atmosphäre hinein oder in den Weltraum heraus. Die abgebrochenen Speichen wirkten pelzig, als wären sie mit fiedrigen Eiskristallen besetzt. Entweder waren sie im Laufe der Zeit von einem Korrosionsprozess befallen worden, oder sie waren von einer anderen Zivilisation erbaut worden.
    »Hesperus kannte diesen Ort«, sagte Portula.
    »Was?«
    Ihr Händedruck verstärkte sich. »Siehst du das nicht?«
    »Was soll ich sehen?«
    »Seine Gravur – das Speichenrad. Jetzt sehen wir es vor uns. Das ist Neume, aus dem Weltraum betrachtet.«
    Die Erkenntnis, dass sie Recht hatte, traf mich wie ein Blitzschlag, doch ich begriff noch immer nicht, was das bedeutete. »Weshalb gerade Neume?«, fragte ich.
    »Weil er wusste, dass wir hierher kommen würden. Weil tief in seinem Gedächtnis Informationen über diese Welt vergraben sind. Weil die Zeit und seine Energie nur dafür ausgereicht haben, uns eine kurze Nachricht zu übermitteln, bevor er seine Funktionen abgeschaltet hat.«
    »Ich verstehe das noch immer nicht. Warum hat er Neume gezeichnet? Wir wussten doch schon, dass wir hierher fliegen würden.«
    »Das ist nicht bloß ein Bild. Das ist etwas anderes – eine Nachricht. Er möchte, dass wir etwas für ihn tun.«
    Wir ließen unsere Schiffe in der polaren Umlaufbahn zurück. Mühelos erkannte ich ein paar Raumschiffe wieder: Gelber Spaßvogel , Königin der Nacht , Papierkurtisane , Stahlgewitter … jedes Schiff garantierte das Überleben eines Splitterlings. Ein Stein fiel mir vom Herzen, als ich Mieres Feuerhexe sah. Ich hatte mir sehr gewünscht, dass sie zu den Überlebenden gehörte.
    Wir flogen mit einem Shuttle zur Planetenoberfläche hinunter. Akonit und Mezereum waren inzwischen aufgewacht, und die anderen drei gentianischen Splitterlinge würden aufwachen, wenn wir auf Neume angelangt waren. Außerdem waren die vier in der Stasis befindlichen Gefangenen an Bord, untergebracht in einem Stauraum am Heck. Portula war dagegen gewesen, Hesperus mitzunehmen, denn sie fürchtete, wir könnten ihm unabsichtlich schaden. Wir folgten Betonies Schiff in die blaue Atmosphäre von Neume hinein. Es glich einer verchromten Träne, die sich am Heck zu einer unglaublich dünnen Spitze verjüngte.
    Unser Shuttle, das Portula gehörte, hatte die Form eines Packens Spielkarten mit abgeschrägter Vorderseite, weshalb man von dort aus einen guten Ausblick hatte. Hinter dem Schrägfenster befand sich ein überhängender Aussichtsraum, der freie Sicht auf die Planetenoberfläche ermöglichte. Es gab Tische und Sofas, doch wir hatten keine Lust, uns zu setzen. Wir lehnten uns an das Geländer aus poliertem Holz und hielten Ausschau nach den ersten Hinweisen auf die einheimische Zivilisation.
    »Ich sollte euch mal ins Bild setzen«, sagte Betonies Imago, das von der Träne übertragen wurde. Er trug ein langes grünes Gewand, purpurfarbene Hosen und schwere schwarze Stiefel, die an den Seiten mit Platin verbrämt waren. »Neume ist eine alte Welt mit einer langen Geschichte – wir sind gerade mal viertausend Lichtjahre vom Alten Ort entfernt. Als die Siedler hier ankamen, war das Raumfahrtzeitalter gerade mal zweiundzwanzig Kilojahre alt. Erinnert ihr euch an das Commonwealth der Strahlenexpansion?«
    Portula nickte. »Undeutlich.«
    »Irgendwas klingelt da bei mir«, sagte ich.
    »Ihr hattet halt noch nie viel für alte Geschichte übrig – nicht mal für die, die ihr selbst durchlebt habt«, sagte Betonie. Hinter dem Fenster erstreckte sich ein endloses Meer silberner Dünen bis zum blassen Horizont, der aufgrund unserer Höhe noch immer gekrümmt war. »Aber das ist schließlich kein Verbrechen. Auch ich musste mich erst über das Commonwealth schlaumachen. Ungeachtet der Tatsache, dass es im dreizehnten Jahrtausend damit schon wieder vorbei war und dass es nicht über fünfzig bis sechzig besiedelte

Weitere Kostenlose Bücher