Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der Sonnen

Das Haus der Sonnen

Titel: Das Haus der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds , Norbert Stöbe
Vom Netzwerk:
Silber. Ein filigranes Netzwerk von Gehwegen und Brücken umhüllte die Türme von Ymir; manche der Brücken reichten von einem Finger zum anderen. Bunte Flugapparate und Menschenstäubchen schwirrten von Turm zu Turm.
    Als sich die Shuttle Ymir näherten, kamen uns drei Flugobjekte entgegen und eskortierten uns zu einem der höchsten Türme auf dem längsten Finger. Die Eskortfahrzeuge waren gold- und rubinfarbene komplizierte Apparate, die mit ihren goldfiedrigen oder goldgeäderten Flügeln das Bauprinzip der Schwingenflügler oder Libellen imitierten, doch sie bewegten sich zu schnell und behände, als dass sie die alleinige Antriebskraft hätten darstellen können. An der Spitze eines jeden Flugapparats befand sich eine Kabine, die an ein von Krallen gehaltenes geschwollenes Auge erinnerte, und darin lag bäuchlings ein mit Schutzbrille und Helm ausgestatteter Pilot, der die Steuerung bediente. Die Begleitfahrzeuge wiederum wurden von vogelgroßen flatternden und kreiselnden Drohnen begleitet, und die Drohnen wiederum von zahlreichen juwelengroßen Maschinen.
    Wir navigierten durch den überfüllten Luftraum von Ymir. Die Eskorte geleitete uns ins Dickicht der Türme hinein, unter den skelettartigen Verbindungsbrücken und Gehwegen hindurch. Immer mehr Luftfahrzeuge schwenkten von ihrem Kurs ab, um uns zu begrüßen – sie hielten auf Abstand, begleiteten uns aber den ganzen restlichen Weg über. Die fliegenden Menschen trugen flatternde Flügel unterschiedlicher Bauart. Auch bei ihnen konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie allein von den Flügeln in der Luft gehalten wurden – offenbar benutzten sie zusätzlich Fluggürtel oder Levatorrucksäcke und setzten die Flügel zur Feinsteuerung ein.
    »Ich fürchte, ihr werdet eine Weile im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen«, sagte Betonie. »Auf Neume gibt es kaum interstellaren Verkehr, und der letzte Besuch von Splitterlingen liegt fast sechs Jahre zurück.«
    »Das macht uns nichts aus«, sagte Portula.
    Die schwarzen Finger verdeckten die Sicht auf den Kilometer entfernten Boden. Man konnte leicht vergessen, dass die Stadt auf den geneigten Türmen einer untergegangenen Zivilisation errichtet war, die seit zwei Millionen Jahren nicht mehr die Luft von Ymir geatmet hatte. Hin und wieder im Laufe meines Lebens überkam mich die Erkenntnis, wie alt ich war und welch einen weiten Weg ich seit meiner Geburt als menschlicher Säugling, als ein Mädchen in einem wuchernden Gespensterhaus, zurückgelegt hatte.
    Wir näherten uns einem der größten Türme, einem Gebäude mit einer Juwelenzwiebel an der Spitze. Auf halber Höhe der mit Balkonen versehenen und korkenzieherartig gewundenen Außenflächen sprang ein halbkreisförmiges Landedeck aus der Fassade vor, groß genug für die Eskorte und unsere beiden Shuttle. Das geflügelte Luftfahrzeug verharrte in der Schwebe, während Betonies Shuttle auf das spitze Ende kippte, das sich daraufhin verdickte, zusammenzog und in ein Dreibein verwandelte, auf das es sich langsam absenkte. Portulas Shuttle landete daneben auf dem Bauch. Kurz darauf trat der echte Betonie aus der Unterseite der Träne hervor und schwebte auf einer Levatorscheibe zwischen den Landebeinen herab. Als die Scheibe das Deck berührte, trat er herunter, worauf die Scheibe wieder nach oben schwebte und das Shuttle versiegelte.
    In der Flanke von Portulas Shuttle öffnete sich eine Tür, senkte sich herab und bildete Stufen und Geländer aus. Die kühle, frische Luft Ymirs wehte mir ins Gesicht. Ich atmete die subtilen Gerüche einer unbekannten Welt ein und verspürte einen leichten Schwindel. Unangenehm war es nicht, vergleichbar etwa dem sich ankündigenden Schwips nach dem ersten Schluck von einem kräftigen Wein. Portula fasste meine Hand, und Seite an Seite schritten wir die Treppe hinunter, gefolgt von Akonit und Mezereum.
    Zahlreiche Menschen hatten sich auf dem Landedeck versammelt; insgesamt waren es mindestens hundert. Sie bildeten drei Gruppen. Vor uns standen mindestens vierzig gentianische Splitterlinge – vielleicht all jene, die es nach Neume geschafft hatten, mit Ausnahme derjenigen, die auf Patrouille waren. Zur Rechten stand eine kleinere Gruppe – zwölf bis fünfzehn Personen, vermutlich die Reunionsgäste, welche den Angriff überlebt hatten. Ich machte ein, zwei Splitterlinge anderer Familien aus, zwei Angehörige des Maschinenvolks und mehrere hoch entwickelte Posthumane mit stark abweichender Anatomie. Zur Linken wartete

Weitere Kostenlose Bücher