Das Haus der Tänzerin
habe.«
Emma hatte den Kopf in die Hände gestützt. »Ich hatte keine Ahnung.«
Macu sah Emma müde an. Sie schien in Gedanken weit weg zu sein. »Sie war eine gute Frau, eine tapfere Frau. Ich kann schon verstehen, warum sie dich verschonen wollte.«
»Arme, arme Freya. Ich begreife immer noch nicht, wie sie und Mum geflohen sind. Wie ist es Rosa ergangen?«
»Sie ist in Mexiko gelandet.«
Emma bekam vor Überraschung große Augen. »In Mexiko?«
»Ich weiß wirklich nichts über die Geschichte von Freya und deiner Mutter, du musst sie selbst danach fragen, aber im Gefängnis habe ich Rosa gefragt …«
»Im Gefängnis?«, rief Emma.
»Sí.« Macu warf einen Blick auf die Uhr, als sie Dolores’ Stimme auf der Straße hörten. »Ich erzähle es dir ein andermal. Meine Tochter ist gerade gekommen, um mich abzuholen.«
»Einen Moment noch, warum war Rosa in Mexiko?« Emma fielen Fragen über Fragen ein, als Macu sich mühsam erhob. »Sie hat sich um die Flüchtlingskinder dort gekümmert, ihnen Lesen und Schreiben beigebracht.« Macu hielt inne. »Sie starb in einem Nonnenkloster. Sie war nicht alt.«
Emma blickte hinab auf das Foto von Rosa und Liberty. »Ein Nonnenkloster? Ich dachte, die Republikaner hätten nicht an die Kirche geglaubt?«
»Die Kirche hat Franco unterstützt, und viele Republikaner waren Atheisten, aber es war ein großer Fehler, sich gegen Gott zu stellen. Einfache Arbeiter wie Rosa und ich sind mit Gottes Liebe im Herzen aufgewachsen. Wir konnten nicht loslassen.« Macu sah Emma an. »Als Rosa das Vertrauen in die Menschen verloren hat, war vielleicht …« Sie überlegte. »Vielleicht war Gott der Einzige, an den sie sich wenden konnte.«
»Mamá!« Dolores rauschte durch das Café. »Wo steckst du denn?« Sie warf einen kurzen Blick auf Emma und nickte widerwillig.
»Ich habe mich mit Emma unterhalten. Ich habe ihr von ihrer Familie erzählt.«
»Es tut mir leid«, sagte Emma, als sie Dolores’ finsteren Blick bemerkte. »Es wird spät.«
»Wir sprechen ein andermal weiter.« Macu tätschelte ihr die Hand.
»Bitte. Da ist so vieles, was ich nicht verstehe. Was ist denn passiert, als Valencia gefallen ist?«
»Das war eine schlimme Zeit, eine sehr schlimme Zeit. Als Katalonien fiel und Madrid und auch unser Valencia …« Macu atmete tief ein. »Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Es war kalt, aber die Sonne schien. Als die Panzer in die Stadt rollten, glitzerten die Bajonette der Nationalisten im Licht der Sonne. Tausende rannten vor ihnen davon und versuchten zu fliehen.« Sie hielt inne. »Diejenigen, die geblieben sind, hießen Franco willkommen. Es gab keine Wahl.«
»Und du, Macu, bist du geblieben?«
»Ich? Ja, ich bin geblieben. Kurz bevor die Nationalisten kamen, habe ich Ignacio geheiratet.«
»Und Jordi, was ist mit ihm?«
»Ich weiß es nicht. Jordi kam zurück von der Front, wie er versprochen hatte.« Macu zögerte. »Aber Rosa war mit dem Kind, deiner Mutter, nach Norden gegangen, um sie zu Freya zu bringen. Ich habe gehört, wie Jordi und sein Bruder eines Abends in der Küche stritten. Vicente hat gesagt, er würde dafür sorgen, dass Jordi und seinen Kameraden nichts passieren würde, wenn er ihn und Rosa in Frieden ließ. Wenn nicht, würde er sie an die Nationalisten verraten.«
»Das verstehe ich nicht, ich dachte, Vicente wäre einfach nur ein Metzger gewesen …«
»Ein Metzger? Ha! Das war er allerdings. Er gehörte zur Fünften Kolonne, dem Feind im Inneren. Er hatte die ganze Zeit über Franco und die Faschisten unterstützt. Die ganze Zeit.«
»Was ist passiert?«
Dolores nahm ihre Mutter am Arm. »Wir müssen los. Jetzt.«
Macu ging unbeholfen weg vom Tisch, der Stuhl kratzte über den Terrazzoboden. »Ich kann jetzt nicht darüber sprechen. Meine Tochter kommandiert mich schon wieder herum.«
Emma fiel plötzlich etwas auf. »Moment! Du hast gesagt, du hättest im Gefängnis mit Rosa gesprochen?«
Macu wechselte ein paar rasche, zornige Worte mit ihrer Tochter. »Ja«, sagte sie dann zu Emma, »ja, ich habe Rosa gesehen.« Sie hielt inne. »Ich war mit ihr im Gefängnis. Ich komme dich bald besuchen. Dann erzähle ich dir alles, was ich weiß.« Sie nahm Emmas Hand. »Ich verstehe, warum Freya nicht darüber sprechen wollte. Nach dem, was dieser hijo de puta ihr angetan hat, bevor sie zur Grenze aufbrach …«
»Mamá!«, rief Dolores.
Macu umarmte Emma. »Ruf Freya an, bevor wir uns weiter unterhalten. Sie ist eine gute
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