Das Haus der Tänzerin
Seidenbluse, eine weite dunkle Wollhose und Slipper. Als Emma sich die Tasche über die Schulter hängte und auf sie zuging, riss Macu überrascht die Augen auf.
»Was machst du denn hier draußen in der Kälte? Du solltest dich ausruhen, bevor das Baby kommt.«
»Ich sterbe vor Langeweile, wenn ich nur im Haus herumsitze.« Emma küsste sie. »Ich habe das gerade rahmen lassen.«
»Sind das die Fotos, die du gefunden hast?«
Emma merkte, dass Macu gar nicht sie ansah, sondern das Medaillon. »Ja. Sie waren im Haus, unter den Fußbodendielen.«
Schließlich blickte sie Emma in die Augen. »Ich habe gehofft, dass ich dich irgendwann treffe. Lass uns etwas trinken.« Arm in Arm gingen sie in das Café, begleitet vom Klopfen von Macus Gehstock auf dem Pflaster.
Sie setzten sich an einen Tisch in der Nähe der Theke. Macu trank einen Schluck Cognac, bevor sie nach ihrer Handtasche griff. Sie schob Emma einen Umschlag über den Tisch zu. »Ich wollte, dass du das bekommst. Du wirst noch einen Rahmen kaufen müssen.«
Die Geräusche in dem Café, das Zischen der Kaffeemaschine, das Plappern der Gäste schien zu verstummen, als Emma den Umschlag öffnete. Er enthielt ein Foto. Sie erkannte Rosa sofort. »Wann wurde das aufgenommen?«
»Im Herbst 1937. Kurz nach Loulous Geburt.«
»Das Baby?« Emma betrachtete das alte Foto. Rosa saß im Garten der Villa del Valle und hatte ein Kind in den Armen.
»Ach, Emma«, sagte Macu und nahm ihre Hand, »sieh dir Rosa doch einmal genau an. Siehst du es nicht?«
Mit zusammengekniffenen Augen versuchte Emma, Rosas grob gekörntes Gesicht zu erkennen. Dann entdeckte sie es. »Das Medaillon«, sagte sie. Sie fasste sich an den Hals. »Sie trägt mein Medaillon.«
Voller Mitgefühl berührte Macu Emmas Hand, strich ihr über das Gesicht. »Jordi hat es deiner Großmutter geschenkt.«
»Freya?«
»Nein, cariño, er hat es Rosa geschenkt.«
45
Valencia, Februar 1939
Oleander, Jacaranda, Oleander, Jacaranda … dachte Freya, als sie, eine Hand am Geländer, den Hügel zur Villa del Valle hinaufspazierte. Glänzende dunkle Blätter warteten auf die leuchtenden rosafarbenen und weißen Blüten. Es wurde langsam dunkel, und als sie die Mauer der Villa erreichte, seufzte Freya müde. Es sollte ihre letzte Nacht im Haus sein, und ihre Sachen waren bereits gepackt, um zu dem spanischen Krankenhaus an der Grenze transportiert zu werden. Der Gedanke an alles, was vor ihr lag – die verzweifelte Not der Flüchtlinge, das graue, verregnete London – deprimierte sie. Sie würde Spanien vermissen, trotz allem, was sie hier durchgemacht hatte. Aus Vicentes Laden drang ein Lichtspalt, erregte Männerstimmen waren gedämpft zu hören. Sie sah sich um, ob sie beobachtet wurde, und schlich sich zur Tür.
»Es ist aus«, sagte ein Mann. Seine Stimme klang arrogant, überheblich. »Die Roten fliehen wie die Ratten. Bald fallen Madrid und Valencia.«
»Und wir werden bereit sein, den großen Generalissimo zu empfangen.« Freya erkannte Vicentes Stimme. »Unsere Zeit ist gekommen, mein Freund.«
»Ich schaffe das«, hatte Rosa gesagt, als Freya ihr am Nachmittag erzählt hatte, dass sie weggehen würde. Hinter ihrem Trotz spürte Freya ihre Unsicherheit. Rosa streichelte dem Kind über den Kopf, das in ihren Armen schlief, eine winzige Hand klammerte sich am Spitzenkragen ihrer Bluse fest. »Könntest du mir ein Glas Wasser geben?« Freya nahm das Perlennetz vom Krug und schenkte ihr ein. »Danke«, sagte sie. Rosa bemerkte, dass Freya sie musterte. »Wirklich, ich schaffe das.«
Freya sah ihr in die Augen. »Das …« Sie zeigte auf die Narbe auf Rosas Wangenknochen. »Es wird schlimmer werden, weißt du.«
Rosa wandte den Kopf zum Feuer und blickte in die Flammen. »Seither hat er mich nicht mehr geschlagen. Er war böse, weil ich verschwunden bin. Ich habe ihm erzählt, ich sei bei Macu gewesen und hätte ihr mit ihrer Aussteuer geholfen, aber er hat mir nicht geglaubt. Er würde mich umbringen, wenn er wüsste, dass ich mit Jordi zusammen war. Vicente hat versprochen …« Sie runzelte die Stirn, als Freya ungläubig schnaubte.
»Vicente ist ein Schläger, ein Tyrann.«
Und jetzt, dachte Freya, jetzt stellt sich auch noch heraus, dass er der Fünften Kolonne angehört. Ich muss Rosa warnen.
»Wen haben wir denn da?« Eine kräftige Hand schoss aus der Dunkelheit der Gasse, packte Freya am Arm und zerrte sie in die Metzgerei. »Guck an, Vicente, diese roten Krankenschwestern machen
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